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Kultur: Wahlbeobachter: Michelangelos Sixtinische Kapelle

Die schönste Wahlkabine der Welt wird sie in diesen Tagen genannt. Ihr Schöpfer war da anderer Meinung: „In diesem Elend wuchs mir schon ein Kropf“, schrieb Michelangelo 1509 in einem Sonett für Giovanni Pistoia, den Kanzler der Florentiner Akademie, über seine Arbeiten an der Sixtinischen Kapelle.

Die schönste Wahlkabine der Welt wird sie in diesen Tagen genannt. Ihr Schöpfer war da anderer Meinung: „In diesem Elend wuchs mir schon ein Kropf“, schrieb Michelangelo 1509 in einem Sonett für Giovanni Pistoia, den Kanzler der Florentiner Akademie, über seine Arbeiten an der Sixtinischen Kapelle. Der Großauftrag seines Lebens wurde für den Maler zur Großstrapaze: 1508 war er von Julius II. beauftragt worden, das 40 mal 13 Meter messende Deckengewölbe sowie die Lünetten der von Sixtus IV. 1483 errichteten Kapelle auszumalen. Michelangelo wählte Motive aus dem Alten Testament sowie die Figuren der Sibyllen und Propheten. Im Oktober 1512 waren die Arbeiten fertiggestellt. Das „Jüngste Gericht“ an der Stirnseite der Kapelle, auf einer Fläche von 180 Quadratmetern das größte zusammenhängende Fresko der Welt, entstand 1536 bis 1541 und ist seit 1999 nach über 20-jähriger Restaurierung wieder zu sehen: leuchtender als zuvor, wenn auch nicht im Urzustand. Die verhüllenden Tücher, die Michelangelos Schüler Daniele de Volterra den nackten Leibern später anmalen musste, sind auch nach der Restaurierung noch vorhanden.

Der Aufstieg aus Finsternis zum Licht, eine Auferstehungsvision voller irdischer Körper. Johannes Paul II. hat den Genius Loci in einem Gedicht beschworen: „Es ist wichtig, dass die Vision Michelangelos zu ihnen spricht: ’Con-clave’ (’mit dem Schlüssel’): gemeinsame Sorge um das Erbe der Schlüssel, der Schlüssel des Himmelreichs.“ Zu sehr nach oben schielen sollten die Kardinäle bei der Wahl allerdings nicht. Noch einmal Michelangelo, aus dem Sonett an Pistoia: „Nun wird auch mehr und mehr mein Urteil schief, im schiefen Haupt erzeugt; aus krummem Rohr schießt fehl man allzuleicht.“

Christina Tilmann

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