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Kultur: Wahlen in Jugoslawien: Die schwarze Komödie der Opposition

September vor sieben Jahren war Wahlkampf in Gabun, Zentralafrika. Gabun ist ein reiches, kleines Ölland am Äquator, beherrscht von einem Präsidenten mit dem Namen Omar Bongo.

Von Caroline Fetscher

September vor sieben Jahren war Wahlkampf in Gabun, Zentralafrika. Gabun ist ein reiches, kleines Ölland am Äquator, beherrscht von einem Präsidenten mit dem Namen Omar Bongo. Schlenderte man mit Einheimischen durch die Straßen der Hauptstadt Libreville, erklärten sie an jeder Ecke: Voilá, un palais de Omar Bongo! Paläste, finanziert durch Geschäfte mit Konzernen wie Elf Aquitaine. Wer sich damals an den Zeitungsblättchen der Opposition erfreute, an "Le Scorpion" oder "La Griffe", war überrascht, als sie eines Morgens vom Kiosk verschwunden waren. Mit spöttischer Nachsicht sagte der Verkäufer: In zwei Jahren können Sie da wieder nachfragen... Redakteure dieser Zeitungen kamen bei seltsamen Autounfällen auf Dschungelpisten ums Leben. Druckmaschinen gingen plötzlich kaputt. Dann gab es Geschenke an die Armen, und Omar Bongo gewann die Wahlen. Er blieb an der Macht.

Was in den postkolonialen Staaten der Südhalbkugel des Globus so üblich ist, dass es im Norden kaum interessiert, wirkt in einem europäischen Land bizarr. Im serbischen Wahlkampf erleben wir Techniken des Machterhalts, wie man sie nur aus vergangenen Diktaturen kannte. Aus der Scheindemokratie im Regime Milosevic soll eine echte werden, und das, sagen seine Gegner, lässt er nicht kampflos geschehen.

Wo in diesem Kampf die wichtigste Front verläuft, ist Milosevic und seiner mitregierenden Frau, Mira Markovic, so klar wie einem Omar Bongo: Es ist die Medienfront, der moderne Produktionsort von Realität. "Wir leben in einer raffinierten Diktatur", erklärt die Belgrader Kunstdozentin Slavenka Z. "Die Schlinge zieht sich täglich fester, ohne dass wir genau merken wie."

Offiziell gibt es in Jugoslawien alle Freiheitsrechte. Weder werden Bücher indiziert, noch Theateraufführungen oder Kinofilme verboten. Bei anspruchsvollem Publikum sucht Milosevic seine Anhänger nicht, diese Leute hat er ohnehin verloren. Was er braucht, benutzt und persönlich besitzt, das sind die Massenmedien, Radioprogramme, die in entlegene Dörfer gelangen, Fernsehbilder, die das heroische Serbien mit "Slobo" und Familie an der Spitze zeigen, als einsame Streiter gegen eine mythische Übermacht draußen, Instanzen, eingekapselt in Kürzel wie Nato und USA und Uno. "Das Regime lebt in einer virtuellen Welt", erklärte der sozialdemokratische Politiker Zarko Korac Ende Juli in einem Interview mit dem Sender Radio B92 - als der noch im Äther war. Inzwischen existiert B92 nur noch im Internet als Website (www.freeb92.net, siehe auch: www.freeserbia.org und die Website www.yuguide.com). In den Strudel der virtuellen Welt hat das psychotische Regime seine Bevölkerung seit zehn Jahren mit hineingerissen, doch zurzeit merken alle, dass das Regime seine wohl letzte Schlacht schlägt.

Ein Horrorpaar ist hier an der Macht, "Eltern", die ihre Kinder fressen. An den Universitäten werden demonstrierende Studenten zusammengeschlagen, verhaftet und eingesperrt. Die kahlköpfigen Schlägertrupps, erzählen die Studenten, stehen unter dem Kommando von Mira Markovic. Sie sei die härteste, heißt es. Die Autorin schwülstiger Kitschromane, in denen serbische Heimat beschworen wird, sei es auch gewesen, die ihren Mann nach dem Bosnienkrieg vom Rücktritt abgehalten habe, den er damals noch erwog. Dafür ist es jetzt zu spät. Jetzt ist Slobodan Milosevic ein international gesuchter Kriegsverbrecher und Massenmörder. In politischen Diskussionen taucht mitunter die Frage auf, ob eine Opposition überhaupt gegen einen Kriminellen in den Wahlkampf ziehen dürfe. Wird man damit nicht schon zum Komplizen? Doch die Welt der Jugoslawen ist virtuell und verzweifelt genug, solche Widersprüche zu verdrängen.

In staatlichen Betrieben liegen jetzt lange Listen aus, in die sich jeder eintragen kann, der Milosevic erneut zum Präsidenten wählen will. Seitenweise veröffentlichen seine Zeitungen die Namen. "Slobo"-Getreue ködert man über die Medien mit billigen Krediten der - bankrotten - Staatsbanken und mit günstigen Eigentumswohnungen aus Staatsbesitz. Die Angebote richten sich besonders an Polizei und Armee. Auf sie wird Milosevic nach den Wahlen zählen müssen. Dann, meint man in Belgrad, wird es eine Art Bürgerkrieg geben, so oder so.

Lethargie sei ihr Grundgefühl, klagen nicht nur die Intellektuellen, die sich angesichts der aggressiven Bilderflut der Massenmedien und dem Druck von innen wie außen ausgesetzt immer ohnmächtiger fühlen. Dass die gebildete Bevölkerung inzwischen kaum einem Mittel der öffentlichen Verständigung mehr traut, ist ihr größtes Dilemma. Als letzte Nische der Kommunikation bleibt das privat genutzte Internet. Den Medien im eigenen Land traut das Bürgertum, sofern es nicht im Exil ist, ebensowenig wie denen, die sie per Satellitenschüssel zu sich ins Wohnzimmer holen können: BBC, CNN, Deutsche Welle. Darin sind sich alle einig: Die Außenwelt verzerrt das Bild von Serbien, die Feinde von Milosevic, der ihr Feind ist, sind zugleich ihre Widersacher. An der Schaubühne in Berlin hat Slavenka Z. neulich das Stück "Peace" gesehen, das die Medien im Krieg kritisiert. Slavenka war begeistert. "Nie könnte man das in Prishtina spielen", glaubt sie. In ihren Augen ist Kritik an den Medien per se "antialbanisch". Und für die meisten, die sich als "Serben" definieren, sind westliche Medien Alliierte der Lügen und der Albaner, deren lang währende Unterdrückung kein Politiker der demokratischen Opposition (DOS) mit einem Wort erwähnt. Auch der DOS-Spitzenkandidat Vojislav Kostunica, der als unkorrupt gilt, hält sich zurück. Nicht einmal im Apartheids-Südafrika, entsetzt sich ein UNO-Mitarbeiter, habe es solch massive Entsolidarisierung gegeben.

"Wir sind gegen Milosevic, obwohl seine Feinde auch unsere Feinde sind": Diese schizophrene Konstellation ruft das Gefühl der Lähmung hervor. Wo alles "wahr" und "falsch" zugleich scheint, löst das symbolische System, der Realitätssinn, sich auf. Wenig verwunderlich ist es, dass die bisher wirksamste Opposition gegen das Regime, die Bewegung "Otpor" ("Widerstand"), zwei Wesensmerkmale trägt: Sie ist jung, also nicht zermürbt, und sie arbeitet indirekt, mit den Mitteln der absurden Performance, ähnlich wie das Theater der jungen Dramatikerin Biljana Srbljanovic. Wenn Otpor-Aktivisten auf den Straßen Monopoly spielen, ohne Slogan oder Transparent, konfrontieren sie das Regime mit seiner Krankheit. Zu Hunderten versuchten sie, der Partei Milosevics beizutreten. Sie haben einander öffentlich Orden für "Serbisches Heldentum" an die Jacken geheftet, ein Fußballspiel der Mannschaften "Milosevic" gegen "Milosevic" inszeniert und eine Tournee von Popgruppen wie "Atheist Rap" oder "Ivana & Negative" organisiert. Otpor spiegelt das Virtuelle des Systems, und die Spiegelung ist der erste Schritt hin zu einem Wiedergewinnen von Realität und Solidarität in einer zersprungenen Gesellschaft.

Inzwischen ist es oft lebensgefährlich geworden, sich aktiv zu Otpor zu bekennen. An den Eingängen von Belgrader Universitätsgebäuden sind bewaffnete Sicherheitskräfte postiert; die Otpor-Abzeichen und T-Shirts mit der geballten Faust, wie sie fast alle Gymnasiasten trugen, sind auf Schulhöfen tabu. Schüler und Studenten verschwinden in Gefängnissen. Genau hier aber sehen Beobachter die größte Gefahr für Milosevic. Greift nämlich das Regime die eigene Jugend an, sind die Eltern mit attackiert. Dann ist die "Zukunft der Nation" in Gefahr. Und von "Nation", kleinster gemeinsamer Nenner im Delirium, ist bei nahezu allen die Rede.

Auf Wahlkampfveranstaltungen, besonders in der Provinz, betont auch der Verfassungsrechtler Vojislav Kostunica, es müsse der Welt gezeigt werden, dass "Serbien zur Wiedergeburt fähig" sei und dass das "Erbe der Ahnen" nicht verspielt werde. Stolz auf sein Land soll jeder Serbe sein. Slavenka Z. hat unlängst mit Österreichern debattiert, die sich dagegen wehrten, dass man ihr Land ständig mit Haider assoziiert. "Jetzt merkt ihr mal, wie es uns immer geht!" hat sie ausgerufen. Serbien, das ist mehr als Milosevic, sagen die Oppositionellen. Im demokratischen Europa, das dem serbischen Diktator immer wieder den roten Teppich ausrollte, wird es jedenfalls ein großes Aufatmen geben über ein Serbien ohne Milosevic, den Anfang vom Ende dieses Deliriums.

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