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Kultur: Wahnsinn im Quadrat

Weltverbesserung als Scherzartikel: Dürrenmatts „Physiker“ am Deutschen Theater

Das Problem mit Leitartikeln, die das nahe Ende der Welt ankündigen, ist ihre kurze Halbwertzeit. Wenn die Welt allen Warnungen zum Trotz dann doch nicht untergeht, wirkt das apokalyptisches Gemurmel zwangsläufig etwas komisch. Friedrich Dürrenmatts Deutschunterricht-Klassiker „Die Physiker“ ist so ein vergilbter Leitartikel. Dass die Dramaturgie des Deutschen Theaters Berlin die gut abgehangene Groteske jetzt zur Begleitung des Einstein-Jahrs auf den Lehrplan setzt, muss man als mutig bezeichnen. Die Parabel vom genialen Kernphysiker, der sich aus Furcht vor den verheerenden Folgen seiner Forschung wahnsinnig stellt und in einer Irrenanstalt versteckt, hat vier Jahrzehnte nach der Uraufführung etwas rührend Naives bekommen. Die im Deutschunterricht so beliebten Sentenzen Dürrenmatts wirken etwa so putzig wie die Einstein-Zitate, die allerorten wie Kalendersprüche plakatiert werden. So schrumpft die Revolution der modernen Physik auf Floskel-Format.

András Friscays Inszenierung in den DT-Kammerspielen gerät nicht in Gefahr, das Publikum zu überfordern. Weil der Regisseur ahnt, dass das Stück nicht mehr so recht satisfaktionsfähig ist, signalisiert er von Anfang an, dass wir es mit einem Scherzartikel zu tun haben. Und weil Dürrenmatt Schweizer ist, blickt man auf eine Fototapete mit Alpenpanorama (Bühne: Johannes Leiacker). Die Irren hausen davor auf einer grünen Wiese, die Analytiker-Couch ist mit schwarz-weißem Kuhfell geschmückt. Hier können nur Knallchargen auftreten. Michael Gerber, der als mürrischer Inspektor die rätselhafte Mordserie an den Krankenschwestern des Irrenhauses aufzuklären hat, gibt überzeugend die Comicfigur eines Kriminalisten. Damit ist Gerber nicht alleine. Auch das Physiker-Trio zeichnet sich durch souveräne Missachtung aller komplizierteren Spielzüge aus.

Weil dem Schauspieler Jörg Gudzuhn klar ist, dass er in eine Klamotte geraten ist, in der es um nichts als schnelle Lacher geht, macht er sich einen Spaß daraus, genau dieses Muster mit leichter Verachtung zu bedienen: Okay, es ist dämlich, aber wenn Ihr es nicht anders wollt, mache ich Euch halt den Affen. Gudzuhn spielt einen Irren, der sich mal für Sir Isaac Newton, mal für Einstein hält, in Wirklichkeit aber als Geheimagent den Mitpatienten Möbius ausspionieren soll. Und er spielt ihn so entspannt blödelnd, dass man dauernd denkt: So ein toller Schauspieler! Und so eine flaue Witzfigur.

Dieter Mann spielt Möbius mit unangestrengter Routine, eine kleine komische Nummer, die Mann im Wissen, dass auch etwas flache Rollen sauber durchgespielt werden wollen, in gewohnter Perfektion zum Besten gibt. Den dritten Irren, der sich mit Einstein verwechselt, auch er in Wirklichkeit ein Mann vom Geheimdienst, stellt Peter Pagel mit weißer Einstein-Mähne und ansonsten ohne weitere Auffälligkeiten auf die Bühne.

Im Zentrum des Abends steht jedoch Jutta Wachowiak, die sich mit der Rolle der Irrenärztin vorläufig vom Deutschen Theater und von Berlin verabschiedet. Noch einmal gibt sie eine kühle Dame, an der alles abzuperlen scheint, bis plötzlich im letzten Akt der Wahnsinn durchbricht. Sie vermeidet alles laute, aufgekratzte – und absolviert ihren Abschied in souveräner Unaufgeregtheit, der auch diese unbedarfte Inszenierung einer Weltverbesserungs-Klamotte nichts anhaben kann.

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