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Waldschlößchenbrücke: Vor dem Dammbruch

Das Dresdner Elbtal und der Welterbe-Titel: Auch Angela Merkel und ihr Kulturstaatsminister haben bei der Affäre versagt.

Die erwartete Entscheidung, dem Dresdner Elbtal den so prestigefördernden Titel „Weltkulturerbe“ abzuerkennen, ist am Mittwochabend noch einmal vertagt worden. Seit 2006 hatte die Unesco-Komission den Stromlauf in und um Dresden auf die Rote Liste der gefährdeten Weltkulturerbe-Stätten gesetzt. Grund ist die damals geplante, seit 2007 nun im Bau befindliche Waldschlösschenbrücke am östlichen Rand der Dresdner Innenstadt. Das vierspurige Verkehrsprojekt aus Beton und Stahl bedeutet nach Ansicht des Unesco-Welterbekomitees einen gravierenden Eingriff in die als Natur- und Kunst-Ensemble geschützte Fluss- und Stadtlandschaft.

Die Stadt Dresden und das Land Sachsen waren also gewarnt, lange bevor die seit Anfang der Woche auf ihrer Jahreskonferenz in Sevilla zusammengekommenen Kommissionsmitglieder aus 21 Staaten im Rahmen von 120 Tagesordnungspunkten über den Fall Waldschlösschenbrücke berieten.

Deutschland mag sich freuen, wenn etwa sein Wattenmeer künftig zum offiziellen Weltkulturerbe gehört, was sich daraus erklärt, dass auch einzigartige Landschaften als „Naturdenkmäler“ mit dem Signum der in Paris residierenden UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur versehen werden können. Peinlich aber bleibt, dass sich ausgerechnet der Name Dresden mit dem singulären Vorgang verknüpft, dass einer der reichsten Kulturnationen der Welt von der Völkergemeinschaft attestiert wird, dass sie trotz entsprechender Verpflichtungen nicht in der Lage war, einen solchen Eklat zu vermeiden. Überhaupt erst ein Mal wurde eine der inzwischen knapp 900 anerkannten Weltkulturerbe-Stätten in über 145 Ländern wieder von der Liste gestrichen – das betraf ein durch neue Erdölförderung zerstörtes Naturschutzgebiet im Oman.

Es wirkt ja grotesk: Vor fünf Jahren erst wurde das Dresdner Elbtal auf Antrag der sächsischen Hauptstadt und des Freistaats Sachsen zum Weltkulturerbe erklärt. Und die schon bei der Antragsstellung geplante, jedoch aus Dilettantismus in den bei der Unesco eingereichten Unterlagen falsch bezeichnete Waldschlösschenbrücke ist so seit über zwei Jahren und mehreren, zum Teil noch anhängigen Gerichtsverfahren, Bürgerentscheiden, neuen Gutachten und Erkenntnissen ein öffentlicher, auch international diskutierter Streitfall. Die jeweils von der CDU geführte Dresdner Stadtpolitik und die sächsische Landesregierung aber haben in dieser Zeit alle Appelle von namhaften Stadtplanern, von Künstlern und Schriftstellern wie Günter Grass oder Christoph Hein, von Akademien und Bürgerinitiativen missachtet. Sie haben dabei die sinnfällige Alternative, an Stelle einer massiven Brücke mit LKW-Verkehr einen Tunnel unter der Elbe zu bauen, immer wieder schroff abgelehnt (vgl. Tagesspiegel vom 21. Juni).

Auch der in Sachsen aufgewachsene Zellbiologe und Medizin-Nobelpreisträger Günter Blobel, der in den USA ganz wesentlich zu Privatspenden für den Wiederaufbau der Frauenkirche beitrug, hat Anfang Juni in der „New York Times“ noch einmal zum Nachdenken und Innehalten aufgerufen. Doch wollte dies die seit letztem Jahr amtierende Dresdner CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz nicht interessieren. Sachsens ebenfalls erst 2008 ins Amt gekommener CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich verhält sich bei der wesentlich vom Freistaat finanzierten Elbbrücke öffentlich eher evasiv. Aber tatsächlich folgen Stadt und Land weiterhin der Linie des wegen der Landesbank-Kalamitäten abgetretenen Ex-Ministerpräsidenten Georg Milbradt: eines jeder Beratung unzugänglichen Brücken-Verfechters.

Das alles wäre also angesichts der symbolisch und faktisch weit über Dresden und Sachsen herauswirkenden Affäre längst ein Fall für Berlin gewesen: für die Bundeskanzlerin und ihren im Kanzleramt nebenan logierenden Kulturstaatsminister. Dessen Amt wurde 1998 von der Regierung Gerhard Schröder geschaffen und mit dem Argument begründet: Es sei notwendig, den wiedervereinigten Föderalstaat mit seinen 16 im Prinzip kulturhoheitlichen Bundesländern auch bei internationalen Kulturangelegenheiten, in der Europäischen Union oder gegenüber der UN und Drittstaaten angemessener, also mit einer Stimme vertreten zu können. Eine solche, nicht mehr nur im Auswärtigen Amt und bei den Goethe-Instituten verankerte „äußere Kulturpolitik“ setzt zugleich die Beratung der Bundesregierung mit den betroffenen Landesregierungen und gegebenenfalls aus gesamtstaatlichen Interessen auch eine entsprechende Ideengebung und Leitfunktion des im Kanzleramt angesiedelten Kulturstaatsministers voraus.

Bernd Neumann war da ein Ausfall. Was nicht zu entschuldigen, aber womöglich intern dadurch zu erklären ist, dass Kanzleramtsminister Thomas de Maizière bis 2005 sächsischer Innenminister war, er als strikter Befürworter der umstrittenen Waldschlösschenbrücke gilt und dabei das Ohr der Kanzlerin hat. Trotzdem hat hier auch Angela Merkel versagt. Während das Auswärtige Amt sich gegenüber der Unesco hinter den Kulissen seit 2006 um Schadensbegrenzung bemühte und Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) mit Finanzhilfen für einen alternativen Tunnelbau einspringen wollte, hat die CDU-Kanzlerin bei ihren sächsischen Parteifreunden nicht eingegriffen, indem sie den Fall so lakonisch wie konfliktscheu zur reinen Landessache erklärte. Man darf sicher sein: Würde Angela Merkels Wahlkreis statt in Mecklenburg-Vorpommern in Sachsen liegen, dann wäre die für das internationale Ansehen der Bundesrepublik und das (kultur)touristisch von in- und ausländischen Besuchern abhängige Dresden blamable Brückenaffäre längst vom Tisch gewesen. Und das Elbtal hätte seinen Welterbe-Titel weiterhin sicher.

Jetzt aber ist der Flurschaden – wie auch immer in Sevilla entschieden wird – eingetreten. Die durch einen zwischenzeitlichen, von Naturschützern erwirkten Baustopp zur Berühmtheit gewordene Kleine Hufeisennase (eine der zahllosen Dresdner Fledermausarten) oder der gleichfalls gerichtsnotorisch gewordene Wachtelkönig und die Grüne Keiljungfer (eine geschützte Libelle), sie alle dürften die einstmals sanften Uferauen am ausgebaggerten Bauplatz längst verlassen haben. Den Elbbogen unterhalb der Waldschlösschenbrauerei dominieren die aufgerissenen Trassen und die Brückenstützfundamente an beiden Ufern des Flusses.

Obwohl das Verkehrsaufkommen in Dresden seit Eröffnung einer Ringautobahn um ein Viertel zurückgegangen ist und sich die sachlichen Voraussetzungen des umkämpften Verkehrsprojekts mannigfach gewandelt haben, halten die Brückenbauer an ihren Plänen unbeirrt fest. Die Oberbürgermeisterin verweist auf einen gültigen Planfeststellungsbeschluss und reagiert auf die W-Brückenfrage, als wolle sie auch den Sachsen Richard Wagner beglaubigen, der einst sagte: „Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun.“

So wird zu den vorhandenen fünf Brücken Dresdens statt des kaum teureren Tunnels oder eine für den Privatverkehr ausreichenden, schlankeren zweispurigen Brücke das W-Ding kommen. Man wird es, anders als es Zoom-Aufnahmen und virtuelle Darstellungen suggerieren, zumindest von der Stadt her kaum sehen. Aber der Flurschaden ist, neben dem Rufselbstmord, ein dem bisher geschützten Elbtal drohender weiterer Bauboom ohne ästhetischen Sinn und Verstand. Der Bann und Damm scheint nun gebrochen.

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