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Kultur: Wallende Nebel, demolierter Salon

Im Steinbruch: Tankred Dorst und Christian Thielemann enttäuschen in Bayreuth mit „Walküre“

Auf die Frage nach dem Wagner’schen Gesamtkunstwerk hat Christian Thielemann jüngst geantwortet, er könne nichts dirigieren, was ihn störe. Die Frage meint, ob das, was ein Dirigent auf der Bühne sieht (und was er in günstigeren Fällen mit zu verantworten hat), Folgen hat, Konsequenzen für die Musik. So jedenfalls wollte Richard Wagner seine Idee vom „Drama“ verstanden wissen, das nicht mehr „Oper“ ist: das Bühnengeschehen als „ersichtlich gewordene Taten der Musik“.

Nun ist Gestörtwerden keine künstlerische Kategorie. Außerdem dürfte der Radius der Möglichkeiten hier rasch ausgeschritten sein. Was behagt einem Kapellmeister nicht? Doch weniger die Tatsache, ob Wotan nun Aktentasche trägt oder Speer, als vielmehr, wo er steht und wohin er guckt. In Bayreuth soll es während der Proben zu Zerwürfnissen zwischen Thielemann und Tankred Dorst gekommen sein. Betrachtet man das Ergebnis – vor allem die gnadenlose Statik der großen Zweierszenen in der „Walküre“ –, so dürfte Thielemann den Kampf wohl gewonnen haben. Ob Wotan/Fricka oder Wotan/Brünnhilde: An der Rampe lässt es sich ungetrübt singen. Ein Pyrrhussieg?

Dies heißt nun nicht, dass Dorsts Inszenierung Wesentliches genommen worden wäre. Hie und da mögen ein paar Aperçus fehlen – am kruden Sammelsuriumcharakter des Ganzen und daran, dass so etwas wie Personenregie nicht stattfindet, ändert es nichts. Was in der „Walküre“ freilich besonders ins Auge sticht: die vielen Déjà-vus. Zitiert? Entlehnt? Geklaut? War es im „Rheingold“ eine Art Ursuppe des „Rings“, in der Dorsts Bühnenbildner Frank Philipp Schlössmann ästhetisch fischte, so wird der erste Tag des Bühnenweihfestspiels geradezu schamlos konkret. Hundings Hütte, ein demolierter Salon, bedient sich sowohl bei Christof Nel in Stuttgart als auch bei Jürgen Flimm und Erich Wonder, den Bayreuther Vorgängern. Nur dass anstelle wogenden Weizens ein großer Mond zur Tür hereinschaut.

Der Skulpturenpark des zweiten Aktes wiederum verweist auf Joachim Herz, Leipzig 1973: Marx und Engels mit abgesägten Köpfen, das schmeckte dem DDR-Regime damals nicht. Bei Dorst gesellen sich, sagt sein Buch, noch Christus, Napoleon und Friedrich der Große hinzu. Wirklich identifizieren kann man sie allesamt nicht. Überhaupt regt ein solcher „Abstellplatz der Geschichte“ wohl niemanden mehr auf.

Der dritte Akt schließlich, ein Steinbruch, ist Chéreau pur. Die wallenden Nebel, Wotans Silhouette, die Walküren und ihre toten Helden: Man reibt sich die Augen. Unvergesslich, wie Donald MacIntyre und Gwyneth Jones es als Vater und Tochter an der Grenze zum Erotisch-Verbotenen knistern ließen – und wie opernhaft, wie nichtssagend, was Falk Struckmann und Linda Watson dreißig Jahre später dazu einfällt. Auch die Stimmen sind diesmal nicht dazu angetan, zu entschädigen, gar zu trösten. Watsons Brünnhilde, mit erheblichen Intonationsmühen ringend, klingt schrill, scheppernd, kaum charaktervoll. Struckmanns Wotan fängt mächtig an zu vibrieren, sobald die Kondition ihn verlässt, bläht Spitzen- und Haltetöne. Schön ist beides nicht.

Und Thielemann? Liebkost die Schwächen seiner Sänger, zieht sich ganz aufs Stützen, aufs Begleiten zurück. Davon profitieren in erster Linie Michelle Breedt, die ihre Fricka mit perlendem Klangredefluss von allen Xanthippe-Klischees befreit, und Adrianne Pieczonkas Sieglinde, deren vollmundiger Sopran stilistisch freilich mehr in der Wagnerkonvention zu Hause ist, mehr dem Klang folgt als dem Wort. Selbst wenn Endrik Wottrich am Siegmund nun nicht fast gescheitert wäre und die acht Walküren kein so uneinheitliches Bild abgegeben hätten: Ein überzeugender Zug glückt diesem Abend nicht.

Thielemann verliebt sich immer wieder in berückende Details, lupft ungeahnte Nebenstimmen ans Licht, lässt die Geschwisterliebe im ersten Akt blühen und das Ehedrama im zweiten nach Galle schmecken: Das Pathos und die Tragik, die Wagner sich wünschte, sie greifen erst spät – und gewaltig! – ans Herz, bei Feuerzauber und Schicksalsmotiv. Ein Crescendo ins Piano, als fiele der Himmel auf die Erde. Als stürbe jede Hoffnung, nicht zuletzt die auf Regie.

Christine Lemke-Matwey

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