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Er erzählt klug, ernst und nahezu zärtlich: Walter Grond.

© Daniela Matejschek

Walter Gronds Roman „Drei Lieben“: Zumutungen der Zeit

Vom Ersten Weltkrieg bis in die heutige Krisenwelt: Walter Gronds historischer Roman „Drei Lieben“ ist ein hoffnungsvoller Lobgesang auf die Liebe und das Leben.

Wenn ein Roman mit dem Hinweis angekündigt wird, der Text spanne einen großen historischen Bogen, vom Ersten Weltkrieg bis in die heutige Krisenwelt, erwartet man ein dickes Buch mit vielen hundert Seiten. Aber warum eigentlich? Weil es derzeit in Mode ist, umfangreiche Werke selbst zu erzählerischen Nichtigkeiten vorzulegen? Natürlich gibt es Schriftsteller, die das präzise Erzählen beherrschen. Der unlängst mit dem Kleist-Preis geehrte Ralf Rothmann zum Beispiel. Auch der 1957 in der Steiermark geborene Walter Grond ist ein Autor, der im kleinen Rahmen große historische Panoramen zu entfalten und die Geschichte immer mit der Gegenwart zu verbinden weiß. Grond, der seit Mitte der achtziger zahlreiche Romane in diesem Stil verfasst hat, wurde einem breiteren Publikum bekannt, als er 2002 in seinem Roman „Almásy“ die Geschichte des Helden aus berühmten Film „Der englische Patient“ erzählte, und zwar jenseits des bekannten Liebesdramas.

In seinem neuen Roman „Drei Lieben“ hat Grond seine Erzähltechnik perfektioniert. Der Text ist in drei Kapitel unterteilt, die jeweils einen Frauennamen tragen. Jale, Sophie und Rita. Jede Frau steht für eine ungeheure Liebesgeschichte und für eine Epoche, in dem ungeheure Dinge geschehen, schlimme Gräueltaten und kleine Wunder. Und alle Geschichten sind kunstvoll miteinander verbunden. Es beginnt mit einer fast märchenhaften Episode in Baku, jener Öl-Metropole am Kaspischen Meer, denn dahin hat es während des Ersten Weltkriegs Hermann Opitz verschlagen, der aus seiner Heimat floh, weil ihn dort seine Ehefrau Maria vor der versammelten Dorföffentlichkeit betrog. Doch die Frau stand nicht zur Affäre, behauptete vielmehr, alles wäre Einbildung: „Als er dann seinen Freund Leo zur Rede stellte, wies der ihn noch brüsker ab und verbat sich, von einem Geisteskranken gestört zu werden. Er solle sich in die Krankenanstalt begeben. Er solle freiwillig gehen. Freiwillig in das Irrenhaus oder freiwillig in den Krieg.“ Das tat Hermann dann auch, er ging in den Krieg, an die Front nach Ungarn, stürzte sich in die Todeshölle, kam aber nicht darin um, sondern irrte durch einen brennenden Kontinent und landete in Baku, wo zu dieser Zeit muslimische Tradition und europäische Moderne gleichermaßen präsent waren.

Zwischen Historienepos und Märchen

Dort trifft der vom Krieg gezeichnete Hermann die sehnsüchtige Jale, und es ist erstaunlich, wie der Erzähler auf dem Grat zwischen Historienepos und Märchen wandert, ohne in Kitsch zu verfallen. Denn Grond ist kein Kulissenzauberer; es geht ihm nicht darum, dem Charme verlorener Welten nachzuspüren. Der historische Rahmen bietet ihm vielmehr die Möglichkeit, von der Verwobenheit der Gefühle mit politischen Umbrüchen zu erzählen. Hermann zieht mit seiner Jale nach Paris, legt seine österreichische Vergangenheit ab, nicht wissend, dass seine Ehefrau Maria, als er in den Krieg zog, von ihm schwanger war.

Womit wir bei Sophie und dem zweiten Kapitel des Romans gelandet sind. Auch Marias und Hermanns Tochter wächst in einer Zeit des Umbruchs auf: Die Nationalsozialisten versklaven halb Europa, und Hitler wird auf dem Heldenplatz in Wien gefeiert. Sophie lässt sich vom nationalen Taumel mitreißen und verliebt sich in einen jungen Nazi. Leider steht auch der schöne und stramme Erich nicht zur Geliebten, so dass Sophie sich mit einer Ehe arrangiert, die sie schrecklich unglücklich macht. Wir Leser erfahren von der leidvollen Geschichte, weil die betagte Sophie vom Enkel des längst verstorbenen Großvaters Hermann aufgesucht wird. Der neugierige Nachkomme möchte das ungeschriebene Gesetz, den alten Herrn nicht nach seiner Vergangenheit zu fragen, nicht über dessen Tod hinaus akzeptieren. Er will das psychische Muster von uneingestandener Liebe und beschädigtem Leben in seiner Familie durchbrechen. Auf der Spurensuche erkennt er nicht nur das Drama der Sophie, deren Mann sich aufgehängt hat, er lernt auf ihrer Beerdigung auch Rita kennen.

Damit beginnt die dritte Liebesgeschichte des Romans, die zum einen von einer innigen Seelenverwandtschaft erzählt, zum anderen das Gefühlsleben der Protagonisten mit vergangenen Familiengeschichten und aktuellen politischen Ereignissen erneut zusammenspinnt. Der jahrzehntelange Krieg in Afghanistan wirkt sich dabei unmittelbar auf das Privatleben der Liebenden aus. Rita arbeitet für die UNESCO und soll die Zerstörung der Kulturdenkmäler in dem Kriegsland dokumentieren.

Der uralte Hass auf das Fremde wirkt bis heute

Was vielleicht als Konzeptliteratur erscheinen mag, entfaltet dennoch eine starke innere Logik und ist zudem von großer sprachlicher Eleganz geprägt. Wie nämlich die Weltgeschichte mit dem Liebesleben der teils glücklichen, teils furchtbar traurigen Romanhelden verbunden ist, wie Lebenslügen sich durch die Generationen ziehen und die schönsten Gefühle, wenn sie denn gelebt werden können, immer auch abhängig sind von einer politischen Weltlage, warum alle Zwänge, ob nun familiengeschichtlich oder zeithistorisch bedingt, trotzdem die Freiheit jedes Einzelnen nicht gänzlich aufheben, all dies erzählt Walter Grond in seinen „Drei Lieben“ so klug, ernst und nahezu zärtlich, dass man das Buch mit Staunen zur Seite legt.

Zumal die Verwerfungen der Vergangenheit und der uralte Hass auf das Fremde bis heute wirken. Gegen die Feinde der Zivilisation, ob nun nationalistisch, sozialistisch, islamistisch oder sonst irgendwie motiviert, hilft nur der Lobgesang auf die Liebe und das Leben, den Grond gegen die Zumutungen der Zeitläufte am Ende seines herausragenden Textes in einem hoffnungsfrohen Flüsterton anstimmt.

Walter Grond: Drei Lieben. Roman. Haymon Verlag, Innsbruck, Wien, 165 Seiten, 19,90 €.

Carsten Otte

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