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Kultur: Wanderer auf Umwegen

Zygmunt Bauman über kulturelle Identität nach der ModerneVON ANNETTE WASSERMANNDer postmoderne Wanderer trägt eine schwere Last in seinem Bündel: die Freiheit.Ob nun freiwillig als Tourist (Kosmopolit) oder unfreiwillig als Vagabund (Exulant), er bewegt sich nicht länger am Gängelband der Nation.

Zygmunt Bauman über kulturelle Identität nach der ModerneVON ANNETTE WASSERMANNDer postmoderne Wanderer trägt eine schwere Last in seinem Bündel: die Freiheit.Ob nun freiwillig als Tourist (Kosmopolit) oder unfreiwillig als Vagabund (Exulant), er bewegt sich nicht länger am Gängelband der Nation.Beide Typen, in denen nach Zygmunt Bauman der gegenwärtige Mensch vorkommt, sind gleichzeitig frei und heimatlos.Diese individuelle Befindlichkeit hat Folgen auch für die kollektive, für die kulturelle Identität. Bauman, polnischer Soziologe und Philosoph aus Leeds, leitete im Haus der Kulturen der Welt die Vortragsreihe "Europa neu denken" ein, zu der bemerkenswerterweise ausschließlich männliche Wissenschaftler geladen wurden.Um die "Konstruktion des `FremdenÔ in der Postmoderne" sollte es eigenlich im Gespräch mit dem Islamwissenschaftler Serif Mardin gehen, das vom Präsident der Akademie der Künste, György Konrad, moderiert wurde.Doch Bauman sprach nicht über den Wandel kultureller Identität im multinationalen Europa, sondern über Sicherheit. Die Ursachen für das Unbehagen in der modernen Kultur hatte Sigmund Freud zu Beginn dieses Jahrhunderts darauf zurückgeführt, daß die persönliche Freiheit zugunsten stabiler Strukturen geopfert wurde."Das postmoderne Unbehagen resultiert dagegen aus der unsicheren Freiheit", sagte Bauman.Der globale Markt der Möglichkeiten überfordert den einsam gewordenen Wanderer, der sich an zu vielen Weggabelungen entscheiden muß.Mit der selbstverschuldeten Mündigkeit weiß er nicht umzugehen, denn - so Bauman - wer frei sein will, muß auch die Verantwortung allein tragen.Zu der rasenden Beschleunigung der Zeit kommt die Notwendigkeit, sich seine Identität selbst zu wählen.Die Welt wird zum Maskenball, auf dem sich keiner mehr selbst erkennt. Wirklich neue Thesen brachte Bauman nicht aufs Podium.Daß das Leben nur noch als Abfolge von Episoden wahrgenommen wird und nicht mehr in "große Erzählungen" eingebettet werden kann, hatte Jean-François Lyotard, der Vordenker der Postmoderne, schließlich schon 1979 behauptet.Auch für Zygmunt Bauman ist die Welt aus den Fugen geraten, Interessensgemeinschaften sind an die Stelle von Solidarität und Freunschaft getreten.Das Gefühl von Bedrohung werde von Individuum aufs Kollektiv übertragen.Die alltäglichen Unsicherheiten verwandeln sich in Angst vor Kriminalität und Einwanderung."Wie stark der Wunsch Europas ist, sich gegen den Rest der Welt abzugrenzen, läßt sich an der fremdenfeindlichen Rhetorik im politischen Spektrum ablesen." Wieder bedürfe die Gesellschaft eines gemeinsamen Feindbildes, um sich als Einheit zu fühlen.Der polnische Soziologe und Philosoph, der in seinen Büchern gerade die Chance betont, die in der Ungewißheit liegt, beurteilte die Verfassung der multikulturellen Gesellschaft durchaus kritisch. Im Anschluß an Bauman sprach Serif Mardin über das Miteinander von Islam und Christentum im heutigen Europa, über die Suche nach Authentizität.Die beiden Wissenschaftler, die ursprünglich miteinander über das "Fremde" sprechen sollten, blieben sich eigentümlich fremd.So wirkte der Abend streckenweise wie die Inszenierung einer unmöglichen Kommunikation.Freiheit bedeutet Unsicherheit.

ANNETTE WASSERMANN

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