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Kultur: Warten und wandern

Anna Viebrock trifft an der Oper Hannover auf Hans-Joachim Hespos

Türenschlagen ist die Rache des kleinen Mannes im Zuschauerraum. Er wendet sich mit Grausen, es knallt, und er ist weg. Es braucht nicht viel Mut dazu. Wie vertraut ist den Theatern dieses Türenschlagen!

Fünf Minuten vor dem eigentlichen Anfang einer Uraufführung, die nicht frei ist von der Erwartung, hier und da zu missfallen, probt die Staatsoper Hannover den Aufstand selbst. Türsteherinnen geben ein Störkonzert. Eine Exposition, die Publikumskritik vorerst überlistet.

Und plötzlich suggeriert schon dieser Einstieg, dass die Begriffe „große Oper“ und „Faszination Alltag“ einander nicht ausschließen. Sie passen beide zu der Bühnenbildnerin und Regisseurin Anna Viebrock, und sie finden sich im Untertitel des Musikstücks „iOPAL“ von Hans- Joachim Hespos, das im „hespos bühneneigenverlag ganderkesee“ erschienen und in seiner utopischen Radikalität über jede Rechtschreibreform erhaben ist.

Um die Partitur des Auftragswerks für das Staatsorchester Hannover lesbar zu machen, bedurfte es eines score managers (Kay Ivo Nowáck), der sowohl den „Ganderkeseer Tonsetzer“ als auch den geregelten Opernbetrieb durchschaute. Dies vorausgesetzt, vollbringen Dirigent Johannes Harneit und Chordirektor Johannes Mikkelsen Meisterleistungen, um den schillernden Edelsteintitel ohne Spezialistenensemble zu realisieren. Seit Jahrzehnten leitet Hespos, überzeugter Provinzbewohner, das One-Night-Festival „Neue Musik in Delmenhorst“ (immer am 11. 11.). Er ist der „meistgeehrte niedersächsische Komponist“ („Hannoversche Allgemeine“) und seit jeher der „Prototyp des Einzelgängers“ (Josef Häusler, Donaueschinger Musiktage). Seine Konzepte sind aus Musik und konkreter Poesie. Von den Stimmen werden „hochleises wimmerweinen“ und „spitz-sirenig sopranes heulgeplärr“ verlangt, aber auch „verzaubernd“ Schönes. Im Orchester dominieren tiefe Posaunen, „schrillnervendes“ Schlagzeug zwischen „Nichts“ und Stille.

Da die Auslegung dem „schöpferischen Team“ überlassen und „stets neuAnders“ ist, wird das „Materialfeld“ mit schwer durchhörbaren Überlagerungen in dieser Aufführung höchstens zur Hälfte benutzt. Sätze mit dem Kunstnamen „Oix“ werden immer von dem Marthaler-Schauspieler Graham F. Valentine dargestellt – als Sprecher, Bariton, tiefer Bass und hoher Tenor. Da gibt es stimmliche Verfremdungen vieldeutiger Art.

Eine Oper ohne Sprache, aber nicht ohne Text. Kein Libretto, aber Wörterspiele. In der Foyer-Atmosphäre der Bauhaus-Szenerie Viebrocks wird daraus das Thema Staatsopernalltag. Die Orchestermitglieder kommen über die Bühne, die Sopranistin Yuko Kakuta aus dem Graben. Wie immer bei Viebrock die haftenden Bilder: Zwei Seniorinnen in feschem Jogging-Dress belauschen die Probe. Warten, Unpünktlichkeit, der Cellist bleibt bei der Kaffeemaschine. Die Inszenierung zeigt Bühnentode, amüsante Spiegelungen, die sich als Trick entlarven müssen, Beleuchtungsfehler, Verdi- und Wagner-Assoziationen, Geschrei, Pausengetümmel. Man fragt sich, ob die nervende Kinderstimme vom Rang dazu gehört oder Zufall ist. Nach einer Stunde brechen zwei Leute aus der ersten Reihe auf, prompt folgt Applaus dem Türknallen.

Viebrock begeht zeitweise den Fehler, die Musik gänzlich hinter die Bühne zu verbannen. Tolle Stimmen (Michaela Schneider, Christoph Homberger, Oliver Zwarg) tönen aus dem Off, Weiberzank, Männer-Cantabile, Oper eben. Francesca Scaini, sonst Aida oder Tosca, gehorcht masochistisch der Idee, eine lange Arie mit dem Rücken zum Publikum zu singen. Bis die Geduld reißt.

Was aber bleibt, ist Bühnenarbeit, Bühnenluft, ein eigenartiger Akkord aus Oper und inszeniertem Alltag: das Kunststück „Menschen im Theater“.

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