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Kultur: Warteraum für ein stürmisches Leben

Marcus Mislins Bühnenfassung der "Effi Briest" im Studio des Berliner Maxim-Gorki-TheatersVON CHRISTOPH FUNKEDie Bühne ist Effis Ort.Was auch geschieht, wer immer auch durch die Türen kommt und geht, sie ist dabei.

Marcus Mislins Bühnenfassung der "Effi Briest" im Studio des Berliner Maxim-Gorki-TheatersVON CHRISTOPH FUNKEDie Bühne ist Effis Ort.Was auch geschieht, wer immer auch durch die Türen kommt und geht, sie ist dabei.Der Raum, hell, karg und klar, und wieder unbestimmt, geheimnisvoll dunkel, flirrend, erzählt ihre Geschichte.Ein Wartesaal, oder ein Vorzimmer, oder eine ländliche Diele.Mit Bank, Stühlen, Hockern, klappbaren kleinen Tischen.Aber hier, unter den hölzernen Balken, tobt auch Effi auf der Schaukel, in plötzlich strahlendem Licht, hier begegnen und durchkreuzen sich die Zeiten, hier ist alles gleichzeitig und schon geschehen, noch bevor die Geschichte Effis überhaupt begonnen hat.Marcus Mislin schuf eine Bühnenfassung von Theodor Fontanes Roman "Effi Briest", die mit diesem Ineinander von Gegenwärtigem und Vergangenem spielt, fast so, als inszeniere Effi ihr kurzes, ungestümes Leben selbst, im Wissen um das Scheitern, als eine Vision zwischen Glück und Qual.Mit der Zerstörung der Menschlichkeit im Namen der Ehre, "des Ganzen", der Gesellschaft beginnt die Bühnenfassung: Baron Innstetten und Geheimrat Wüllersdorf legen die Schlußfolgerungen aus Effis ehelichen Verfehlungen fest.Ein Duell wird stattfinden, der "Galan", Major Crampas, dabei zu Tode kommen.Auf Effi wartet der gesellschaftliche Fluch, die tödliche Einsamkeit.Aber noch ist die Ehe nicht gestiftet, noch wütet da ein Kind im Matrosenkleidchen, mit der Schaukel triumphierend an die Holzwand krachend, laut, ungestüm bis zur Verrücktheit.Dieses Menschenkind gehört nicht in die Welt, in den Wartesaal Preußen, es will hinaus, ins Freie, sich selbst entdecken.Und Effi bleibt eine Fremde, auch nach der Eheschließung, der scheinbaren Zähmung.Deshalb wird sie beobachtet, liebevoll wohl, aber auch ängstlich und argwöhnisch.Die junge Frau ist umgeben von Menschen und von Schatten, von Stimmen und Geräuschen, man sieht nach ihr und ist doch weit weg, man möchte sie verstehen, sie stützen, und ist doch hilflos.Am Ende flüchtet sie sich, fast aller Kleider ledig, zum Sterben unter die lange hölzerne Bank.Hat da einer Fehler gemacht, der Mann, die Eltern vielleicht? Die Antwort, von Vater Briest, ist nur zu bekannt: "Ach, Luise, laß ...das ist ein zu weites Feld."Im Studio des Maxim-Gorki-Theaters geht es Mislin auf der von Elisabeth Pedross gebauten Bühne (Kostüme: Jessica Karge) nicht vordergründig um das schmerzlich schöne Geheimnis dieses "weiten Feldes".Er schließt Fontanes Roman auf überraschend nüchterne Weise auf.Die aus der Wirklichkeit, der Zeitfolge herausgelösten Begegnungen der Figuren geben den ruhigen epischen Abläufen einen neuen, frischen, dramatischen Rhythmus.Es sind Begegnungen wie auf einem Spielbrett, geheimnisvoll gesteuert.Mutter und Vater Briest, Innstetten und Crampas, Wüllersdorf und Gieshübler laufen gegeneinander und aneinander vorbei, oft ohne sich zu sehen, ohne aufeinander zu reagieren.Die Geschehnisse um das Duell liest Effi wie aus einem offiziellen Protokoll vor, Innstetten, Crampas, Wüllersdorf schreiben mit.Und einmal zwingt Effi gar durch einen gewaltsamen Kostümwechsel der Mutter die Rolle der Dienerin Roswitha auf.Der Bearbeiter, gemeinsam mit Deborah Epstein auch Regisseur des Abends, läßt keine Sentimentalität, nichts Wehleidig-Rührseliges zu, er holt die Vitalität aus den Figuren, in hitzigen Ausbrüchen, in Schreien (Innstetten etwa ruft dem im Duell getöteten, aus der Tür gegangenen Crampas ein vielfaches "Hau ab!" nach) und in ungestümer Rangelei.Zugleich aber betont Mislin die Zwangsläufigkeit des Geschehens, in dem es keine Bösewichte gibt, Baron Innstetten in der Tat nach Fontanes Urteil "ein ganz ausgezeichnetes Menschenexemplar" bleibt.Diesen Merkwürdigen spielt Mislin selbst, gerade, freundlich, mit einem verlegenen Lächeln auch, als einen hölzernen, auf fast sympathische Art gefühlsgehemmten Musterbeamten.Im Mittelpunkt des Abends freilich steht die Effi der Regine Zimmermann.Sie zeigt Temperament mit einer Spur Überhitzung, betont das Fremde, Andere des aufgeregt-nervösen Mädchens.Und damit den Versuch, sich aus der Enge preußischer Sittsamkeit und Lebensart herauszureißen, den Menschen auf den Leib zu rücken, Wahrheiten zu entdecken, rücksichtslos durchaus und in der Sehnsucht nach dem großen, himmelstürmenden Gefühl.Monika Hetterle steigert die Betulichkeit der Mutter zum orgiastischen Triumph anläßlich des Innstetten-Heiratsantrags und findet sich glanzvoll in die treuherzig biedere, unangreifbare Festigkeit des bodenständig ruhigen Dienstmädchens.Frank Seppeler, als Crampas, betont die Unruhe des Wurzellosen, zeigt die Sehnsucht, frühem Scheitern durch die Tollheit einer verbotenen Liebe entgehen zu können.Jede Figur in der Inszenierung sitzt, hat Kontur, stimmt in Haltung, Rede, oder in hingebungsvollem Gesang - so der Briest von Hilmar Baumann, der Wüllersdorf von Dieter Wien, der Gieshübler von Dietmar Obst, und die Verdi schmetternde Marietta Tripelli der Nathalie de Montmollin.Stürmischer Beifall, Bravo-Rufe im kleinen, völlig ausverkauften Studio. Wieder am 18., 24., 30.und 31.5., 20 Uhr.

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