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Ultimative Kränkung. Der Mensch stammt vom Affen ab – Darwins Evolutionstheorie stößt bis heute auf Widerstand.

© picture-alliance / dieKLEINERT.d

Warum sind ständig alle beleidigt?: Russen, Gauweiler, Peymann - das eingeschnappte Ego

Jeder Mensch ist narzisstisch, ganze Nationen sind gern mal gekränkt. Ein Versuch über das Beleidigtsein.

Von Caroline Fetscher

Die Russen sind beleidigt. Ihnen hat die Krim doch immer schon gehört, aber kaum holen sie sich die Halbinsel zurück, begegnet ihnen der Gruppengroll der Restwelt. Die Griechen sind beleidigt. All das ungewohnte Sparen und Steuerzahlen ist eine Zumutung, es rechtfertigt ihren Gruppengroll wider die Restwelt. Die Pegida-Deutschen sind beleidigt. Ausländer, die noch gar nicht da sind, könnten ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen, falls sie da wären. Schon der Gedanke beschwört das Gekränktsein herauf. Wenn das nicht eine Lizenz für einen grimmigen Aufstand bedeutet!

Araber sind beleidigt, Chinesen ebenfalls. Amnesty International wirft ihnen vor, die Menschenrechte nicht zu achten, dabei sind doch die Amerikaner an allem schuld, irgendwie, immer. Anhänger einer Glaubensgruppe fühlen sich beleidigt von Anhängern einer anderen Glaubensgruppe – oder von Nichtgläubigen. Unser Gott hat mehr Erbarmen! Nein, unser Gott hat mehr Erbarmen! Was scheren mich eure Götter! Mit diesem Geschrei schlagen sie ohne Erbarmen aufeinander ein. Karikaturisten werden ermordet, Operndirektoren wegen kirchenkritischer Inszenierungen gefeuert, wie gerade in Novosibirsk geschehen.

Rund um den Globus wird das Gekränktsein als Devise auf dem Markt der Ehre gehandelt, in der Münze des Gruppenstolzes geprägt, gegossen, gedruckt. Auch innerhalb von Gruppen lässt sich damit Aufsehen erregen. Herr Gauweiler in Bayern ist beleidigt, weil seine Partei Fraktionsdisziplin von ihm erwartet. Er sagt schöne Grüße, pfiat euch, und dankt gekränkt ab. Oder Herr Peymann in Berlin, auch ein Beleidigter. Nach seinem Ruhestand soll ein anderer sein Theater leiten, noch dazu einer, den er selber nicht ausgesucht hat. Das geht zu weit! Auch seinem Kollegen Frank Castorf missfällt es, dass über seine Nachfolge geredet wird. Ohnehin liefert das Alltagsleben ununterbrochen Quellen der Kränkung. Frau X hat im Treppenhaus nicht gegrüßt, Herr Y hat von der Terminänderung nichts gesagt, ein Forscher wird von einem Kollegen nicht erwähnt, es fehlt die Fußnote mit Hinweis auf sein Verdienst.

Produktiv gewendet, erwächst der Kränkung die Kraft zum Widerstand

Gründe fürs Beleidigtsein finden sich also vom Riesenanlass (Krim) bis zur geringsten Causa (Fußnote!). Die Welt will nicht so, wie ich wohl will: Bei der Kränkung geht es um Kontrolle und Kontrollverlust, um Aufmerksamkeit, Ehre und Ehreinbuße. Wird das Gekränktsein demonstrativ gezeigt, geht es um Schuldproduktion, emotionale Erpressung, Vergeltung. Gleich nach dem Paradies legen Leute damit los. Kain, der Bauer, opfert Gott Früchte von seinem Acker, Abel, der Schäfer, opfert Tiere aus seiner Herde. Gott allerdings interessiert sich nur für Abels Gabe, auf Kain „blickte er nicht“, heißt es im ersten Buch Mose. Erst ist Gott beleidigt wegen Kains Opfer, dann Kain wegen Gottes unfairer Präferenz.

Auf legitimes Gekränktsein kann der gerechte Zorn folgen, das Aufbäumen gegen Ungerechtigkeit und Entwürdigung. Produktiv gewandelt, entwächst der Kränkung die Kraft zum Widerstand, die Vorstellung davon, wie etwas besser und gut werden kann. In so einem Fall würde Kain den Abel nicht erschlagen, sondern beide gemeinsam würden Gottes Willkür kritisieren. Das wäre Aufklärung, wirksamstes Heilmittel gegen Beleidigtsein.

Freud benannte drei große Kränkungen der westlichen Menschheit

Ultimative Kränkung. Der Mensch stammt vom Affen ab – Darwins Evolutionstheorie stößt bis heute auf Widerstand.
Ultimative Kränkung. Der Mensch stammt vom Affen ab – Darwins Evolutionstheorie stößt bis heute auf Widerstand.

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Moment mal, was wird hier alles in einen Topf geworfen, Kain, die Chinesen, die unterlassene Fußnote? Bitte nicht beleidigt sein, etwas Aufklärung tut noch not. Menschen sind narzisstisch, alle. Eigenliebe ist lebensnotwendig, damit aus kleinen Menschenwesen Erwachsene werden. Ähnliches gilt für Großgruppen, also Leute, die sich miteinander identifizieren. Dafür haben sie Geschichten erfunden, von Göttern, die ihnen wohlgesonnen sind, von dem besonderen Clan, dem sie angehören, dem ruhmreichen Ort ihrer Herkunft und so fort. Haltbar sind diese Narrative oft nicht oder nur wider besseres Wissen.

Sigmund Freud benannte drei große, narzisstische Kränkungen der – westlichen – Menschheit durch ihren eigenen Zugewinn an Erkenntnis. 1543 bescherte Kopernikus den Zeitgenossen eine kosmologische Kränkung. Nicht die Erde ist der Mittelpunkt des Kosmos, vielmehr kreist dieser kleine Planet um die Sonne. 1859 tauchte mit Darwin die biologische Kränkung auf: Menschen haben sich aus Tieren entwickelt, Affen, nicht Adam und Eva, sind unsere Vorfahren. 1895 legte Freuds psychoanalytische Erkenntnis dar, wie das Unbewusste einen großen Teil menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns bestimmt. Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus.

Inzwischen hat sich einiges dazugesellt, etwa die These von der digitalen Kränkung. Denn das weltweite Netz liefert neben der Verheißung freier Kommunikation die Bedrohung durch weltweite Überwachung mit. Auf den zweiten Blick erweist sich dieses Szenario als eher ambivalent. Immerhin wähnt sich der Überwachte im Fokus des Interesses mächtiger Kräfte, ähnlich wie ein Fundamentalist sich auf Schritt und Tritt von einem beobachtenden Gott verfolgt fühlen kann. Dieser Wahn birgt einen verdrehten Trost, wie jede Paranoia: „Ich bin so wichtig, dass man mich stets im Auge behalten will“. In der Realität ist es damit meist gar nicht weit her, doch weist die Konstruktion auf den paranoiden Kern des übersteigerten Beleidigtseins: „Es geht um mich!“ Oder: „Es geht um meine Gruppe!“

Einem Kind bleibt keine Wahl, als die Abweisung, das Leid, das ihm zugefügt wurde, auf sich zu beziehen. Es wird sich beleidigt fühlen, zu Recht, wenn etwas geschehen ist, was ungerecht war und ungesund. Erwachsene Menschen, die das Denken nicht erlernt und kein Wissen erworben haben über sich und andere, werden weiter den Gestus des Beleidigten nutzen, als Waffe aus ihrem Ego-Arsenal. Diese Waffe ist geschmiedet aus Legierungen wie Empörungsgenuss, Schamvermeidung, Druckausüben, Manipulationsgewohnheit, Aufmerksamkeitssuche. Erwachsene Menschen, die das Denken erlernt und Wissen erworben haben über das Bewusste und das Unbewusste, haben dagegen die Wahl. Sie haben die Freiheit, nachzusinnen über Ursache und Ausmaß einer Kränkung. Ist die Fußnote so wichtig? Kann einer, der ein Strichmännchen zeichnet, wirklich meinen Glauben beschädigen? Wo Zorn über echtes Unrecht entsteht, fragen die Weiseren: Wie lässt sich das ändern? Was wäre jetzt das Konstruktivste? Existiert Denkfreiheit, gibt es Handlungsräume, da verliert Beleidigtsein an Einfluss.

Jedoch ist und bleibt die Endlichkeit des Seins die größte narzisstische Kränkung: Vanitas! Alles ist eitel, alles vergeht. Johannes Brahms wählte für sein Requiem die Zeilen aus der Lutherbibel: „Herr, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muss.“ Als Antwort auf diese unvermeidlichste aller Kränkungen wurden unter anderem Varianten der Auferstehung erfunden. Tauchen die Ahnen nicht in Träumen auf, als wären sie noch da? Wirken ihre Worte, gute oder üble, nicht nach? Wie können sie dann fort sein? Offenbar befinden sie sich in neuem Leben! Das Osterfest feiert diese Hoffnung.

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