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Kultur: Warum wohnen die Regensburger in Geschlechtertürmen?

Der Toskana-Urlauber kennt sie: Die Geschlechtertürme von San Gimignano, mittelalterliche Protzbauten die hoch aufragen über Olivenhainen und weinberankten Hügeln. Im Hochmittelalter wurden sie von den adeligen Familien der Stadt erbaut, und es wurde ein Wettstreit daraus: Je höher der Turm, desto größer das Ansehen der Familie.

Der Toskana-Urlauber kennt sie: Die Geschlechtertürme von San Gimignano, mittelalterliche Protzbauten die hoch aufragen über Olivenhainen und weinberankten Hügeln. Im Hochmittelalter wurden sie von den adeligen Familien der Stadt erbaut, und es wurde ein Wettstreit daraus: Je höher der Turm, desto größer das Ansehen der Familie. Auch in anderen italienischen Städten übertrumpften sich die Patrizier im Turmbau, aber nirgendwo haben so viele Geschlechtertürme die Jahrhunderte überdauert wie in San Gimignano.

In Deutschlands touristischen Hotspots kennt man sich als Deutscher ja dagegen oft nicht so gut aus wie in den italienischen. Da ist man in Rom, Florenz und eben San Gimignano schon längst gewesen, bevor man zum ersten Mal Regensburg besucht – und verblüfft die Geschlechtertürme hinauf blickt. Ja, es sind tatsächlich Geschlechtertürme wie in Italien, und in Deutschland findet man sie auch nur in Regensburg. Aber warum?

Die Antwort weiß der Regensburger Stadtheimatpfleger Werner Chrobak: „Regensburg war im Mittelalter ein Zentrum des Fernhandels und unterhielt mit den Städten Norditaliens rege Verbindungen. Vom 12. bis ins 14. Jahrhundert hatten die Regensburger sogar den Vorsitz in der Vertretung der deutschen Fernhandelskaufleute in Venedig – und übernahmen in dieser Zeit den Turmbau-Wettstreit von ihren Geschäftspartnern.“

So errichteten Regensburger Patrizierfamilien im späten 13. und frühen 14. Jahrhundert etwa zwei Dutzend Türme im gotischen Stil und integrierten sie baulich in ihre Stadtpaläste. Im Erdgeschoss der Türme war oft die Hauskapelle eingerichtet, im ersten Stock eine repräsentative Stube für Empfänge und Feste. Womöglich hatten die Geschlechtertürme neben der Repräsentations- auch eine Wehrfunktion, zumindest bevor Regensburg um 1300 eine Stadtmauer bekam.

Heute ist das runde Dutzend der erhaltenen Türme zum größten Teil in Privatbesitz, aufwändig saniert und gehört, wie die gesamte Regensburger Altstadt, seit diesem Sommer zum UNESCO-Weltkulturerbe. Und wieder nutzt vor allem die Regensburger High Society die Türme: In einem befindet sich ein französisches Feinschmecker-Restaurant, in einem anderen ein Schickeria-Café, ein weiterer beherbergt exklusive Privatwohnungen. Nicht so allerdings der höchste, der „Goldene Turm“. Der nämlich ist ein Studentenwohnheim.

Daniel Herbstreit

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