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Salma Hayek macht Überstunden für die Fans. Die Giraffe

© AFP

Kultur: Was bleibt

Auf der Leinwand, bei Diskussionen und unterwegs:  SZENEN vom Festival, die wir so schnell nicht vergessen werden.

IM BUSCH

Nina Hoss auf dem Fahrrad. Jedes Mal, wenn sie in Christian Petzolds DDRDrama „Barbara“ auf sandigen Wegen am Gebüsch vorbeiradelt, fährt der Wind so wild ins Unterholz, rauschen die Blätter, als stehe eine Weltenwende bevor. Gelingt die Flucht? Wird alles anders? gba

GIRAFFE

Endlich ist sie groß genug. Lana steht unter der Giraffe und reicht mit der Hand an deren Bauch. Der Regen kann ihr jetzt nichts anhaben. Schönste Tierszene des Festivals, in „Postcards from the Zoo“ aus Indonesien: mit der Giraffe als Maßstab fürs Erwachsenwerden und Schutzschild vor widrigen Wettern. Überhaupt ist sie das Wappentier dieses Jahrgangs, mit weiteren unvergesslichen Exemplaren im Generation-Film „Zarafa“ und im Forums-Beitrag „Bestiaire“. chp

I LOVE MERYL

Eine Journalistin aus Rumänien gesteht Meryl Streep ihre kaum zu bremsende Begeisterung. Zu Beginn von „The Iron Lady“ habe sie erst gar nicht erkannt, wer diese alte Alzheimer-Dame sei, und sich gefragt, wann endlich Meryl Streep auftrete. Die reale Meryl Streep auf dem Podium bedankt sich für das Kompliment, und die Rumänin fährt fort, dass die zauberhafte Meryl doch außer der eisernen Premierministerin locker auch die 25-jährige Maggie Thatcher hätte darstellen können. Worauf Streep in Beifall, Gelächter und das etwas doppeldeutig anschwellende „Ouuuu“ der Journalistenschar einwirft: „Oh, I love Romania!“ Ihrem selig selbstironischen Lächeln liegt nun der ganze Saal zu Füßen. pvb

MUTTERLIEBE

Ich geb dir 100, sagt der Junge. 200, sagt die Mutter. Der Junge will zu ihr ins Bett, ein bisschen Wärme, ein bisschen Nähe. Er kauft sie sich, hat keine 200, legt Scheine hin, kramt nach Münzen, kuschelt sich zu ihr, legt den Kopf auf ihren Bauch. Sie lässt es still und freundlich geschehen. „L’enfant d’en haut“ von Ursula Meier, der traurigste Augenblick seit Erfindung der Mutterliebe. chp

WO MAN SINGT

Lars Eidinger spielt in „Was bleibt“ ein paar Akkorde auf dem Klavier, dann beginnt Corinna Harfouch zu singen: „Ich trinke schon die halbe Nacht und hab mir dadurch Mut gemacht, / Um dir heut endlich zu gestehn: Ich kann dich einfach nicht mehr sehn.“ Ernst Stötzner kommt hinzu und fällt ein in das Chanson von Charles Aznavour, eine Liebeserklärung, die sich als Beschimpfung tarnt: „Du bildest dir doch wohl nicht ein, du könntest reizvoll für mich sein / Mit deinen unbedeckten Knien, wenn deine Strümpfe Wasser zieh’n.“ Der Enkel jubelt: „Noch mal von vorn“, und auch der Zuschauer möchte rufen: Sing it again! chs

VORHANG

In der Pressevorführung von HansChristian Schmids „Was bleibt“ geht mitten in Corinna Harfouchs Selbstauskünften einer depressiven Hausfrau der Vorhang runter. Wie eine Klinge. Nur vor dem Leben der Hausfrau oder auch vor dem Film? Allerdings macht dieses Vorhangmesser der Kritik, was Guillotinen im Kino nie tun. Es hebt sich gleich wieder. kd

DIVA

Vor 40 Jahren war Dy Saveth die große Filmdiva von Kambodscha. Bis die PolPot-Diktatur die in ihren Augen „dekadente“ Filmindustrie des Landes brutal vernichtete. In „The Snake Man“, einem der wenigen geretteten Schätze, die das Forum zeigte, ist Dy Saveth eine sehr junge, schöne Frau. Auf der Bühne im Arsenal steht sie als reife Schönheit, deren Zeit vorüber zu sein scheint. Doch dann lächelt sie fein und sagt Dinge, die andere Diven auch sagen: Dass sie die vielen Museen Berlins besuchen möchte und sie vom Beifall des Publikums gerührt sei. Sie strahlt. Anrührend, aus der Zeit gefallen: eine wahre Göttin des Kinos. js

TODGEWEIHT

Innen. Nacht. Alle schlafen in einem Bett, die Leinwand finster, draußen knackt das Gehölz. Es ist nur der Wind, sagt die Mutter in „Just the Wind“ von Bence Fliegauf. Wenig später sind sie tot, eine Roma-Familie in Ungarn, erschossen, ermordet. Und keiner schert sich darum. chp

STIMME UND STILLE

Nur ihre Stimme, sonst fast nichts. „Die Wand“ von Julian Roman Pölsler sammelt Gespensterbilder eines Gebirges und speichert Martina Gedecks Stimme. Dann sie selbst im Bild, ein Schatten von Mensch vor geschlossener Landschaft. Aber die Stimme! Sie geht als Voice Over über den gesamten Film, rauchig, melancholisch, matt. Und wenn sie schweigt? Dann ist im vollbesetzten International die Stille zu hören. jal

MEINUNGSFREIHEIT

Zwei Frauen sind verschleiert, zwei nicht, beim Podiumsgespräch zur Tahrir-Platz-Doku „Reporting … A Revolution“. Die Verschleierten sind pessimistisch, sie sagen: Die Märtyrer der Revolution sind umsonst gestorben, statt Mubarak haben wir jetzt eine Militär-Diktatur. Die Unverschleierten widersprechen höflich: Es gibt bereits jetzt mehr Meinungsfreiheit. Und das neue Selbstbewusstsein könne den Ägyptern niemand mehr nehmen. chp

LA OLA FÜR SALMA

Zuerst sind es nur einzelne Rufe. Dann wird rhythmisch geklatscht, sogar gesungen. Sind Spanier im Saal. „La Chispa de la Vida“ hat Premiere im Friedrichstadtpalast, Salma Hayek und das Filmteam lassen auf sich warten. Die Rufe werden lauter, einige enden mit einem drängenden „Por Favor!“ Schließlich gehen La-OlaWellen durch den Saal. Nach einer halben Stunde wird die Ankunft der Ehrengäste angekündigt, doch es dauert noch ewig. Als sie den Saal betreten, bricht ein Buh-Sturm los. Das Jammern und Heulen begleitet die Gäste, bis das Saallicht erlischt. Der Film: Nicht so dolle. Danach: Jubel für Salma. So ist das in Berlin. Und wahrscheinlich nirgendwo sonst. shan

DER UNABWÄHLBARE

Nein, kaum Häme unter den Befragten, dafür jede Menge Fremdschämen. Es war eine schmerzhafte Recherche vor dem Bundespräsidentenempfang am vergangenen Wochenende, mit niederschmetterndem Ergebnis. Jeder der eingeladenen Filmkünstler hat eine individuelle, ernsthaft überlegte Antwort, und unisono heißt sie: Nein. Da wählt das Filmvolk gewissermaßen stellvertretend den Unabwählbaren ab, durch pures Wegbleiben, und es rührt damit an dessen einzig fundamentale Funktion. Wen repräsentiert dieser Präsident noch, fragte ich mich, wenn seinen Einladungen niemand, der frei nein sagen kann, mehr folgt? Und dachte, ein Brecht-Wort abwandelnd: Wäre es nicht einfacher, der Präsident löste das Volk auf und wählte ein anderes? Nun ist es anders gekommen, noch während der Berlinale. Es ist gut, es war nötig, aber zum Feiern ist niemandem zumute. jal

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