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Kultur: "Was guckst du?": Allemallache

Soll keiner sagen, dass sich nicht auch drei Millionen Zuschauer pro Sendung irren können. Denn wer sich bei Kaya Yanars von SAT1 so genannter Ethno-Comedy "Was guckst du?

Von Gregor Dotzauer

Soll keiner sagen, dass sich nicht auch drei Millionen Zuschauer pro Sendung irren können. Denn wer sich bei Kaya Yanars von SAT1 so genannter Ethno-Comedy "Was guckst du?" auf wessen Kosten amüsiert, steht keineswegs fest. Haut der die Türken, die Araber, die Italiener und die Inder, die in der Bundesrepublik leben, zur Freude aller Chauvinisten gemeinsam in die Pfanne? Oder stößt er den freudlosen Restdeutschen Bescheid, dass sie sich ruhig etwas fremdländisches Temperament aneignen sollten, damit sie nicht ins Hintertreffen geraten? Und falls er beides macht: Tut er das aus purem Gerechtigkeitssinn oder um seine Attacken auf eine Seite besser zu legitimieren?

Angeblich haben die bisher von Kaya Yanar verschonten Griechen inständig darum gebeten, ebenfalls verarscht zu werden. Was darauf hinweist, dass zumindest die sechs Millionen Zuschauer, die sich regelmäßig bei Musikantenstadln und volksmusikalischen Hitparaden von den Zumutungen des multikulturellen Lebens erholen, eine andere Klientel sind: ein Publikum, an dem die Schmidtisierung und Raabisierung des deutschen Fernsehens spurlos vorbeigegangen ist und das selbst vom Modell Gottschalk noch überfordert wird. Andererseits muss man sich den offenen Rassismus, wie er in "national befreiten Zonen" kulminiert, als Domäne junger Leute vorstellen, die von Marianne & Michael genau so wenig wissen wollen wie von einem aufgeklärten Zynismus, der manchmal hilft, ein paar einfache Wahrheiten auszusprechen. Die Türkenwitze jedenfalls, die man auf einschlägigen Websites findet, sind in ihrer Untermenschenperspektive so brutal, dass sie nur noch von Judenwitzen übertroffen werden. Was aber passiert, wenn nun Ausländer den Ausländerhumor bestimmen?

Beim Türken Autofahren lernen

Kenan, der türkische Bürobote dieser Zeitung, findet Kaya super. Na gut, sagt man. Aber dein Vater, Kenan. Erzähl bloß nicht, dass auch der es komisch findet, wenn Kaya einen verrückten türkischen Fahrlehrer spielt! Und da sagt Kenan, dies sei vermutlich die falsche Erwartung: Mein Vater versteht das einfach nicht. Und während man noch meint, dass ihm vielleicht Kaya Yanars Humor zu hoch sei, begreift man, dass er es ganz wörtlich meint: Sein Vater spricht nicht genügend Deutsch, um den Sketchen zu folgen. Das ist der Punkt. Denn mit Kaya Yanar ist vielleicht zum ersten Mal ein Punkt erreicht, an dem die sprachliche Verständigung zwischen Deutschen und Migranten auf breiter Ebene möglich geworden ist. Ein Punkt, an dem die PC-Variante des Multikulturalismus einem pragmatischen und auch die Probleme (etwa an den Schulen) erkennenden Umgang Platz gemacht hat. Und ein Punkt, an dem eine Wirklichkeit, die seit Jahren das Leben in den Städten bestimmt - in den Freundschaften zwischen Männern und Frauen, in der Arbeitswelt, in den Konflikten - sich endlich großflächig im Mainstream widergespiegelt findet.

Kaya Yanars "Was guckst du?" ist dabei nicht einmal stilprägend. Es fügt sich ein in eine Tradition von Kabarett und Comedy, für die Namen wie Django Asül und Mundstuhl stehen - und mehr als alles andere die Münchner Ethno-Prolls Erkan und Stefan mit stählernem Brusthaar und voll krassen Macho-Getöne, das wiederum Feridun Zaimoglus literarische Kanak Sprak für Schulhofrangeleien zwischen Pausenclowns aufbereitet, die sich "direkt konkret eins auf die Fresse" geben, um den nötigen "Respekt" zu kriegen. Das Besondere an Kaya Yanar ist, dass er trotz erprobter Versatzstücke weder Kult für Kids sein noch ein Migrantenpublikum bedienen will: Was er parodiert, ist gut beobachtet und virtuos gespielt. Wenn seine Bosheiten am Ende doch ein wenig harmlos sind, sollte man daran denken, dass er popularisiert, worüber in Volkshochschulen und universitären Proseminaren seit Jahren höchstens grüppchenweise verhandelt wird - und immerhin so, dass die von RTL ausdrücklich als Marketingtool für Deutschtürken eingesetzte Krimiserie "Sinan Toprak ist der Unbestechliche" mit Ex-Model Erol Sander als Kommissar dagegen wie verzuckerter Europudding aussieht - Assimiliation bis zur Auslöschung der Identität.

Kaya Yanar, Jahrgang 1973, ist ein Frankfurter Gewächs türkisch-arabischer Herkunft - und jemand, der die Sprache seiner Eltern nicht einmal mehr ansatzweise spricht. Auch damit ist er prototypisch für eine Migrantenkinder-Generation, die sich keiner Kultur so richtig zugehörig fühlt. Und so mimt er sozusagen den Universal-Ausländer. Er spielt den freundlichen, immer leicht schwachsinnig wirkenden Inder; den unwiderstehlichen Latin Lover, der es sich mit jeder Frau verscherzt; den arabischen Reporter, der in imaginären Kehllautsuadas das absurde Leben der Deutschen für Radio Dubai beschreibt, und den Radiomoderator Süleyman, der am Mikro geklaute Autoradios vercheckt. Und wenn wir noch mehr Ausländer gucken wollten, sagt er, sollten wir nur dran bleiben - bei "ran", der Bundesliga-Sendung.

Die neuen Verhältnisse sind in allen kulturellen Bereichen zu spüren. Mit der Anthologie "Döner in Walhalla", die der gebürtige Bulgare Ilija Trojanow vergangenes Jahr bei Kiepenheuer & Witsch herausbrachte, und mit Jamal Tuschicks Textsammlung "Morgen Land" bei S. Fischer ist die Literatur der jungen Hybriden sogar schon ein Stück weit kanonisiert, ja vereinheitlicht worden - obwohl, beispielsweise, die in Hamburg lebende Japanerin Yoko Tawada und den brasilianischen Sprachartisten Zé do Rock im Grunde wenig verbindet. Schließlich ist im Metzler Verlag, herausgegeben von Carmine Chiellino, ein hochinformatives Handbuch über "Interkulturelle Literatur in Deutschland" erschienen, das ein Resümee von bald 50 Jahren Migrantenliteratur und Forschung zum Thema zieht - zwischen Autoren, die sich schon immer dem Deutschen verpflichtet fühlten wie die Banatschwaben, solchen, die sich wie etwa der Mongole Galsan Tschinag das Deutsche erobert haben, um ihre Herkunft literarisch festzuhalten, und Autoren, die sich renitent gegen alle Kulturen verhalten und in einem Niemandsland verharren.

Schluss mit dem Entwurzelungsblues

Für all das ist es auch Zeit geworden. Nicht nur, dass die Bundesrepublik seit 1955 Gelegenheit hatte, sich an die einst Gastarbeiter genannten Migranten zu gewöhnen (in jenem Jahr schloss die Bundesregierung die erste Anwerbevereinbarung mit Italien ab). Die Zeit hat auch die Migranten verändert, und aus dem großen Entwurzelungsblues hat sich etwas Fröhlicheres und Selbstbewussteres entwickelt. Die dritte Einwanderergeneration hat eben andere Probleme als die erste. Und falls man bis vor einigen Jahren das Modell eines türkisch-deutschen Films in Tefvik Basers "40 Quadratmeter Deutschland", einer Studie über weibliche Unterdrückung, sehen konnte, so ist es heute Fatih Akins Straßenkrimi "Kurz und schmerzlos" - gerade weil sich Selbstwahrnehmung im deutschen Zusammenhang und Selbststilisierung nach amerikanischem Vorbild kaum trennen lassen. Das geht, etwa bei der Berliner Rapperin Aziza A., hinein bis in den deutschen Hiphop.

Noch ist es eine sehr deutsche Art, mit der Migrantenkultur umzugehen. Von der Selbstverständlichkeit, mit der England und Frankreich, den alten Kolonialmächten, neue künstlerische Stimmen zugewachsen sind, kann hier zu Lande keine Rede sein. Doch es scheint, als würden es Programme wie "Was guckst du?" zum ersten Mal seit langem wieder ermöglichen, auch einen spöttischen Blick auf die Deutschen zu werfen, die sich seit den Tagen von Ekel Alfred in ihrem Provinzialismus nicht mehr richtig porträtiert fanden. Selbst Loriots Deutschland existiert nicht mehr.

Der Kulturtheoretiker Homi Bhabha hat empfohlen, man solle nicht danach fragen, was der Liberalismus für den Multikulturalismus tun könne, sondern umgekehrt - wie der Multikulturalismus dem Liberalismus auf die Beine helfe. Er hat wohl Recht, und Kaya Yanar ist ein mehr als lebendiger Beitrag dazu. Fehlt nur, dass irgendwann auch die Frauen das Maul so frech aufreißen.

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