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Kultur: Was halten Sie von den Kuratoren-Kids, Herr Block?

Rene Block, Sammler, Galerist, Kurator hat mit seiner ersten Ausstellung als neuer Direktor des Kasseler Fridericianum zugleich vorgeführt, wie er bis zur nächsten documenta das Gebäude zu bespielen gedenkt.Als Ausstellungsmacher hat Block (Jahrgang 1942) schon immer Maßstäbe gesetzt, seit er 1964 in Berlin seine erste Galerie eröffnete, die heute Kunstgeschichte ist.

Rene Block, Sammler, Galerist, Kurator hat mit seiner ersten Ausstellung als neuer Direktor des Kasseler Fridericianum zugleich vorgeführt, wie er bis zur nächsten documenta das Gebäude zu bespielen gedenkt.Als Ausstellungsmacher hat Block (Jahrgang 1942) schon immer Maßstäbe gesetzt, seit er 1964 in Berlin seine erste Galerie eröffnete, die heute Kunstgeschichte ist.Die erste Ausstellung widmete er Brehmer, Hoedicke, Lueg, Polke, Richter, Vostell und anderen unter dem Titel "Neodada, Pop, Décollage, Kapitalistischer Realismus".Auf Vostell folgte Beuys, auf Beuys die internationale Avantgarde mit Alison Knwoles, Dick Higgins und Nam June Paik.Bis 1979 wirkte Block als Galerist in Berlin und New York, wobei er sich insbesondere um die Fluxuskunst verdient machte.Ab 1982 übernahm Block für zehn Jahre die Leitung des Ressortsx Kunst und Musik beim Berliner Künstlerprogramm des DAAD.Im Anschluß daran wirkte er bis 1995 als Ausstellungsleiter des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart.Während dieser Zeit organisierte er Biennalen in Sydney (1990) und Istanbul (1995).

TAGESSPIEGEL: Wann haben Sie zuletzt bedauert, ab nach Kassel gegangen zu sein?

BLOCK: Es gab einige Tage im Oktober des letzten Jahres, als die documenta X zu Ende war und Kassel schlagartig leer und grau aussah.Damals war mein Team auch noch mit dem Abbau der dX beschäftigt, und die eigenen Planungen mußten zurückgestellt werden.Aber ich habe diese Zeit dann für Reisen zur Programmvorbereitung genutzt.

TAGESSPIEGEL: Ihre Eröffnungsausstellung "Echolot oder 9 Fragen an die Peripherie" hat neun Künstlerinnen aus Iran, Türkei, Ägypten, Australien gezeigt.Sie forderte den Künstlerinnen indirekt die Rechtfertigung ab, daß sie zur Weltkunst gehören.

BLOCK: Diese Künstlerinnen gehören zur Weltkunst, und zwar der von allerhöchster Qualität."Echolot" war keine Rechtfertigung dieser Behauptung, sondern der bislang fehlende Beweis.Den in Kassel ausgestellten Arbeiten wurde documenta-Niveau attestiert.

TAGESSPIEGEL: Eigentlich schien die Diskussion um Zentrum und Peripherie zwar nicht gelöst, aber nach Catherine Davids documenta beendet.Warum wärmen Sie das Thema wieder auf, ausgerechnet im Fridericianum?

BLOCK: Wenn eine begonnene Diskussion noch nicht zu einer Klärung geführt hat, sollte sie auch nicht beendet sein.Außerdem interessiert mich der sogenannte Diskurs um diese Frage herzlich wenig.Ich hatte das Thema dieser Ausstellung schon bei meinem Vorstellungsgespräch in Kassel zur Sprache gebracht.Das war vor Eröffnung der documenta.Ich war dann einige Wochen in Sorge, die documenta würde das Thema umfassend aufgreifen und mein Ausstellungs-Statement überflüssig machen.Das Gegenteil war der Fall.Die documenta hat in "100 Tage - 100 Gäste" das Thema Peripherie behandelt - im Diskurs.Die Ausstellung selbst hat es aber nicht thematisiert.So war "Echolot" die einzig richtige Antwort auf die dX-Diskussionen.

TAGESSPIEGEL: Ist Kassel der richtige Ort, um diese Diskussion zu führen?

BLOCK: Die Frage wäre schon, ob Kassel noch der richtige Ort für die documenta ist.Meine Antwort lautet: Ja.Kassel ist - und wenn wir Kassel sagen, meinen wir das Museum Fridericianum - der richtige Ort, diese Diskussion fortzusetzen und endlich die visuellen Argumente vorzubringen.

TAGESSPIEGEL: Nach der Biennale Istanbul 1995 widmen Sie sich erneut dem Multikulturalismus und der Migration.Hat sich die Kunst in der Zwischenzeit nicht zu anderen Themen hin orientiert, zu Repräsentationskritik, Repolitisierung und Kulturalisierung?

BLOCK: Multikulturalismus interessiert mich überhaupt nicht.Mich interessieren einzelne Künstler.Die Istanbul Biennale war eine Werkstatt, zu der Künstler aus vielen Ländern eingeladen wurden.Um uns verständigen zu können, unterhalten wir uns in Englisch.Um ihre Kunst verstehen zu können, müssen sie auch in einer künstlerischen Sprache, sprich Ästhetik, arbeiten, die ich verstehen kann und die mein Publikum verstehen kann, möglichst ohne Erklärungen.Denn nur so sind die neuen Botschaften zu erkennen.Das ist eigentlich eher das Gegenteil von dem, was man allgemein unter Multikulturalismus versteht.Denn es trifft gar nicht mehr die Erwartungshaltung des westlichen Publikums, bei Künstlern aus bestimmten Ländern auch Exotisches vorzufinden.Duchamp ist der Maßstab unserer Generation und nicht Picasso mit seinen Afro-Imitationen.Auch kann ich nicht beurteilen, ob sich die Kunst zu den von Ihnen genannten Positionen hin orientiert hat.Was ist denn "die Kunst"? Ist es das, was Künstler machen - und da arbeiten die verschiedenen Generationen parallel zueinander -, oder ist es das, was einige Theoretiker möchten, daß es die Künstler machen? Die Kunst, die mich interessiert, war immer anti-repräsentativ und war immer politisch.

TAGESSPIEGEL: Wie beurteilen Sie die Strategie junger Kuratoren, im Team zu arbeiten, wie etwa bei der Manifesta 2 in Luxemburg oder der Berlin Biennale?

BLOCK: Teamarbeit unter Ausstellungsmachern ist nichts Ungewöhnliches.Gerade bei wichtigen Ausstellungen wurden häufig die Aufgaben verteilt oder die Konzeption gemeinsam erarbeitet, wie bei den ersten documenta-Ausstellungen, den Skulptur-Projekten Münster oder selbst bei den großen Ausstellungen der Zeitgeist-Gesellschaft in Berlin.Diese Teams setzten sich aus erfahrenen Ausstellungsmachern zusammen.

Das ist anders bei vielen jungen und jüngsten Kuratoren, die im Team Erfahrungen sammeln wollen.Das ist legitim.Aber dann gibt es noch die ganz cleveren, die die von Ihnen angesprochenen Strategien entwickeln, sich global vernetzen und überall mit Statements oder Miniprojekten auftauchen und - ohne Nennenswertes für die Standortbestimmung oder Weiterentwicklung der Kunst geleistet zu haben - als wichtig gelten.Da wird man in der Zukunft aufpassen müssen.Gerade auch bei Ausstellungen wie der Manifesta, dieser wandernden Biennale junger europäischer Kunst.Für mich waren die Ergebnisse beider Ausstellungen, der Manifesta 1 in Rotterdam und der Manifesta 2 in Luxemburg, zutiefst enttäuschend und unbefriedigend.Man spürt die gegenseitige Höflichkeit der Kuratoren und die daraus resultierenden Kompromisse bei Auswahl und Präsentation.

Eine gute Ausstellung aber muß kompromißlos sein, wie die letzte documenta, die dX der Catherine David, die man bewunderte oder verteufelte.So bin ich auch überzeugt, daß ein jeder der drei Manifesta-Kuratoren in alleiniger Verantwortung eine bessere Ausstellung zustande gebracht hätte.

TAGESSPIEGEL: Sie gehören unter anderem zum Gremium, das den künstlerischen Leiter der documenta XI zu berufen hat.Nach welchen Kriterien gehen Sie vor, wie verläuft der Entscheidungsprozeß?

BLOCK: Es wurden in dieses Gremium acht Kuratoren mit vieljähriger Ausstellungserfahrung berufen, die von ihrer Herkunft sieben Länder und drei Kontinente repräsentieren.Das deutet jedem, der etwas Hercule- Poirot-trainiert ist, schon an, daß der globale Aspekt im Zentrum der Überlegungen steht - ohne daß ich hiermit etwas verrate.Das Verfahren selbst ist ein normales.Man sitzt zusammen, denkt über mögliche Konzeptionen nach, nennt Namen von möglichen Kandidaten, zieht einige in näheren Betracht und fragt an, ob sie bereit sind, zu einem Vorstellungsgespräch zu kommen.Und dann wird man sich auf einen einigen müssen, der hoffentlich kein Kompromißkandidat ist.Das alles muß natürlich absolut vertraulich behandelt werden.Es geht nicht um Geheimniskrämerei, sondern darum, daß die Kommission in Ruhe ihren Auftrag erfüllen kann, möglichst noch vor Jahresende.

TAGESSPIEGEL: Sie kennen Berlin aus langjähriger Beobachtung, aber vor allem durch aktive Teilnahme am Geschehen der Kunstszene.Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation?

BLOCK: Aufgeregt und lahm.Noch nicht aufregend, aber sehr aufgeregt ist die junge Szene.Ich würde das einmal als positives Resultat des Mauerfalles bewerten, aber immer noch als einen Anfang.Die offizielle Szene ist lahm, lahmer noch als vor der Wende, vielleicht auch einfach politisch gelähmt.So als habe man 1990 einen Schlaganfall erlitten und die Fähigkeit, Entscheidungen zu fällen, völlig verloren: immer noch kein Domizil für die Berlinische Galerie, immer noch keine Kunsthalle, die Nationalgalerie ohne Leitung, noch immer kein Nein zum zentralen "Speer"-Denkmal und so weiter.Berlin hat die Orte, an denen Kunst geschehen könnte, es hat auch genügend kreatives Potential - aber es hat keine Leute, die Entscheidungen treffen wollen.Ich habe immer noch das traurige Symposium vor Augen, das vor wenigen Wochen in der Akademie stattfand und in dem Berlin als Standort für die Kunst diskutiert werden sollte.So hätte man auch in Kassel jammern können.Und ich fragte mich, ob denn alle älteren Teilnehmer vergessen hatten, daß in dem Haus, in dem sie diskutierten, eine wunderbare ungenutzte Ausstellungshalle ist, die vor dreißig Jahren die Aufgaben einer Kunsthalle erfüllt hat und in der es hervorragende Ausstellungen gab, was die jüngere Generation nicht wissen kann.Berlins Kunstszene braucht frischen Wind, das ist alles.Vielleicht hilft da schon die Biennale.

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