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Kultur: Was immer ist

Philosoph, Katholik und Aufklärer: Robert Spaemanns Autobiografie.

Nimm dir Zeit“ – dies, so lesen wir bei Robert Spaemann, müsse, nach Wittgenstein, der wahre Gruß unter Philosophen sein. Zeit, um die Grundfragen menschlicher Existenz und vorab die Bedingungen, unter denen wir überhaupt zu Erkenntnissen fähig sind, stets neu zu bedenken. Kontemplative Ruhe muss indes kein Hinderungsgrund sein, sich in aktuelle Fragen einzuschalten: Dafür liefert Spaemann ein gutes Beispiel. Mit Verve setzte er sich in den 50er Jahren gegen die atomare Bewaffnung ein, billigte später die Nato-Nachrüstung und hat kürzlich mit der Schrift „Nach uns die Kernschmelze. Hybris im atomaren Zeitalter“ sein Plädoyer gegen eine außer Kontrolle geratene Technologie erneuert. Bei alldem – dies zeichnet seine intellektuelle Position nicht zuletzt aus – ist er stets gläubiger Katholik geblieben. „Wichtig ist, was immer ist“, lautet seine Devise.

Für eine erste Lektüre seiner „Autobiographie in Gesprächen“ muss man übrigens vergleichsweise wenig Lebenszeit einsetzen, denn sie liest sich so flüssig, geradezu flott, dass es angesichts der Fülle philosophischer Themen und zeitgeschichtlichen Stoffs erstaunlich ist. Das ist der klaren, jargonfreien Diktion Spaemanns zu danken, für den die Umgangssprache die wahre Metasprache ist. Ein weiterer Grund liegt in der Dynamik, die sich aus dem Wechsel erzählter Episoden und der Interviews ergibt, die den größeren Teil des Buches ausmachen. Zwölf Sitzungen hat der ehemalige Kulturchef des „Focus“, Stephan Sattler, darauf verwandt, Spaemann nach der Geschichte seines Lebens und Denkens zu befragen, das auf eindrucksvolle Weise in der eigenen Spur geblieben ist.

Diese Spur folgt bis heute der Richtung, die ihm in der Kindheit gewiesen wurde. Spaemanns Eltern waren erst aufgrund schicksalhafter Umstände zum Katholizismus konvertiert. Die Mutter hatte einen Blutsturz erlitten und musste ihre Laufbahn als Tänzerin aufgeben; der Vater, Mitarbeiter der „Sozialistischen Monatshefte“, ließ sich nach dem Tod seiner Frau 1942 zum Priester weihen. Die Entschiedenheit der Eltern immunisierte den jungen Spaemann gegen den Nationalsozialismus. Mit dem Eintritt in ein Benediktinerkloster liebäugelte er jedoch nur kurz, rasch wandte er sich auch vom Kommunismus ab, von dem ihn der Besuch eines „Volkskongresses“ 1947 in Ostberlin kurierte.

Wird der Leser beim Betrachten dieser Stationen gleichsam vom Mantel der Geschichte gestreift, so folgt er Spaemann mit dessen Eintritt in die Universitätslaufbahn in weit speziellere Gefilde. Wie es nach dem Kriege an der Uni Münster zuging, bleibt noch im Bereich des Anschaulichen, während Spaemanns frühe Forschungsthemen überaus voraussetzungsreich sind: Die Rolle des Vicomte de Bonald als Kritiker der Französischen Revolution dürfte so wenig wie die Kontroverse der Bischöfe Fenélon und Bossuet über die wahre Form der Gottesliebe auf präparierte Leser treffen. Instruktiv ist jedoch, wie Spaemann anhand historischer Rekurse die Notwendigkeit eines Denkens erarbeitet, das sich dem Zeitgeist entzieht, um ihn aus einer übergeordneten Warte kritisieren zu können.

Als Dreh- und Angelpunkt von Spaemanns Denken, zugleich als Basis seiner politischen Einsprüche, kann man sein Bemühen um die Erneuerung einer teleologischen Naturbetrachtung ansehen. Eine solche Betrachtung sieht in den Dingen der Natur nicht bloße Objekte, die sich die menschliche Vernunft beherrschend unterwerfen kann, sie sind vielmehr auf einen Zweck hin ausgerichtet, der über sie hinausweist auf einen transzendenten Schöpfergeist.

Will der Mensch in der Welt nicht nur seine Freiheit verwirklichen, sondern sich auch in ihr beheimaten, dann darf er nicht aufhören, die ihn umgebenden Dinge als ihm ähnlich zu betrachten. Wie wenig eine funktionale Naturbetrachtung in der Lage ist, zu erklären, was Hunger für einen Hund bedeutet (mehr als nur den Weg zum Napf) – dieses Beispiel liest man sicher drei-, viermal im Verlauf des Buches. Was daran liegt, dass etliche Doubletten stehen geblieben sind – auf Sattlers Fragen hin antwortet Spaemann so, wie er es bereits in seinen Episoden aufgeschrieben hatte, einem Lektor scheint das nicht aufgefallen sein.

Höchst unterhaltsam sind die Kapitel, in denen Spaemann seine Begegnungen mit dem Zeitgeist der Bundesrepublik im Spiegel ihrer Universitäten reflektiert. Auf die eigene unabhängige Rolle inmitten der Konflikte blickt er dabei durchaus wohlgefällig. Wie er sich in Stuttgart den ihm zuerst feindlich gesonnenen digitalen Propheten Max Bense zu Dank verpflichtet, wie er sodann in Heidelberg den rebellierenden 68er-Studenten Respekt abnötigt, weil er ihnen gerade nicht in den Hintern kriecht, liest man fast schmunzelnd, doch bleibt ein tragischer Unterton: So berichtet Spaemann vom Freitod eines Kollegen, der sich von der Universitätsleitung im Konflikt mit den Studenten im Stich gelassen fühlte.

Filmreif ist die kleine Geschichte vom Fronleichnamsbesuch bei Bölls in der Eifel, als die Dürener Polizei das Haus umstellt, weil sie das Ehepaar Spaemann für Baader-Meinhof hält. Mit Vergnügen liest man, wie Johannes Paul II. beim Kolloquium in Castel Gandolfo unter dem Tisch den Rosenkranz betet oder in einen Weltaltlas blickt, wenn das Gespräch ihn langweilt. Spaemanns Kontroverse mit Jürgen Habermas um den Begriff des herrschaftsfreien Diskurses wirkt wiederum hoch aktuell und man würde sich freuen, beide Herren einmal über die sogenannte Schwarmintelligenz debattieren zu hören. Spaemann würde auch hierin den Anspruch der Philosophie auf Erkenntnis dessen, was in Wahrheit ist, geltend machen. Das Bewusstsein einer Zeit lässt sich eben besser aus einem Horizont begreifen, der nicht durch dieses Bewusstsein definiert ist – wenn man nur diesen Gedanken aus der Spaemann-Lektüre mitnimmt, dann hat sie sich schon gelohnt.

Robert Spaemann: Über Gott und die Welt. Eine Autobiographie in Gesprächen. Klett-Cotta, Stuttgart 2012. 350 S., 24,95 €.

Norbert Hummelt

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