zum Hauptinhalt
Standbilder. Yvon Chabrowski lässt Aufnahmen von Demonstrationen als tableaux vivants nachbilden.

© Yvon Chabrowski

Was kann politische Kunst?: Bitte schön aufmucken

Die Galerie im Turm zeigt unter dem Titel "Ästhetik des Widerstands" eine Gruppenausstellung. Und siehe da: Die Kunst wird wieder politischer. Und plötzlich sind die Grenzen zum Protest nur noch vage.

Die Kunst wird wieder politischer. Die letzte Berlin-Biennale wurde zum Protestcamp, die aktuelle beschäftigt sich mit Postkolonialismus, das Hebbel am Ufer veranstaltete kürzlich ein Festival zu „Kunst und Politik nach Fukushima“, im Kunstraum Kreuzberg kommen demnächst Politikwissenschaftler, Künstler und Aktivisten zusammen, um über lebenswerte Städte zu beraten. Beispiele gibt es genug. Da kommt die Ausstellung in der Galerie im Turm gerade recht, ein Wellenbrecher im Meer der politischen Kunst, denn sie beschäftigt sich selbstreflexiv mit den Strategien gesellschaftskritischer Künstler, unter dem Titel „Ästhetik des Widerstands“. Inspiration für die Ausstellung ist Peter Weiss’ gleichnamiger Roman. Dreibändig zwischen 1975 und 1981 erschienen, ist er wieder aktuell, geht es darin doch um die Frage: Kann Kunst zum Protest anregen? Über 40 Künstler beteiligen sich. Etwas zu dicht gedrängt sind ihre Werke in der kommunalen Galerie zu sehen. Es zeigt sich: Kunst ist längst selbst Protest geworden.

Der Österreicher Hubert Lobnig etwa dokumentiert in einem Video, wie er einen Marsch mit Bauarbeitern durch die Innenstadt von Wien choreografiert. Die Männer tragen Konstruktionsteile für eine Ausstellung auf ihren Schultern. Der Künstler macht so auf ihre Lebenssituation aufmerksam. Es sind Migranten, die sich auf dem Arbeiterstrich anbieten. Frühmorgens werden sie für kurzfristige Schwerstarbeit auf der Straße angeworben, meist ohne soziale Absicherung. Während ein anderer Teil der Künstler sich konkret auf den Roman beziehen, nehmen andere den Titel wörtlich.

Welche ästhetische Kraft hat Widerstand? Die in Berlin und Leipzig lebende Künstlerin Yvon Chabrowski hat Bilder von Demonstrationen in Kairo, Istanbul und Moskau gesammelt und sie von Freunden in Jeans und T-Shirt vor einer weißen Wand nachstellen lassen. Das Video zeigt aus dem Zusammenhang gerissene Gruppenformationen, tableaux vivants, von einer kompositorischen Dichte, wie sie altmeisterliche Schlachtenmaler nicht besser hinbekommen hätten. Die Ausstellung verwischt die Grenzen zwischen Protest und Kunst auf der Straße. Denn Demos sind Inszenierungen und die Kunst bedient sich typischer Formen der Agitation.

Galerie im Turm, Frankfurter Tor 1, bis 23.7., Di–So 12–19 Uhr

Zur Startseite