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Kultur: Was kommt nach den Taliban?: Wege jenseits der Bomben

Eine andere Regierung für Afghanistan: Dies hat der amerikanische Präsident George W. Bush mehrfach als Kriegsziel der USA benannt.

Eine andere Regierung für Afghanistan: Dies hat der amerikanische Präsident George W. Bush mehrfach als Kriegsziel der USA benannt. Doch so, wie der militärische Feldzug zu stocken scheint, so ist auch völlig unklar, wer das Regime von Mullah Omar in Kabul ersetzen soll. Nicht nur das Ziel, auch der Weg liegt im Dunkeln. Ein verwirrendes Nebeneinander von Gremien und Runden macht sich Gedanken. Wer mit wem spricht - und wer mit wem lieber nicht über die Zukunft verhandeln möchte - spiegelt Rivalitäten und Eifersüchteleien, ethnische Zugehörigkeit und den Status der mitverhandelnden Garantiemächte wider. Diplomaten nennen dies "die Formatsuche". Für die deutsche Bundesregierung geht es auch um die schlichte Frage, ob sie selbst ein Wörtchen mitzureden hat. Die diplomatische Maschinerie ist angelaufen. Der Ausgang mehr als ungewiss.

Zum Thema Online Spezial: Terror und die Folgen Themenschwerpunkte: Krieg - Afghanistan - Bin Laden - Islam - Fahndung - Bio-Terrorismus Fotostrecke: Der Krieg in Afghanistan Ein Gremium nennt sich Sechs-plus-Zwei-Runde. UN-Generalsekretär Kofi Annan hat die Gruppe 1997 ins Leben gerufen. Vertreten sind die sechs Nachbarn Afghanistans, also Pakistan, Turkmenistan, Iran, Usbekistan, Tadschikistan und China. Hinzu kommen Russland und die USA. Die Runde hat bislang sporadisch getagt und nicht viel bewirkt. Eine Ausweitung - "Sechs plus Zwei plus" - stand mehrfach im Raum. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hat sich gerade in einer Studie dafür ausgesprochen, aus dieser Gruppe heraus eine UN-Verwaltung für Afghanistan nach dem Modell Ost-Timors zu entwickeln.

Alternativ gibt es den Fünf-plus-Fünf-Prozess. Diesem Vorschlag gemäß würden die fünf Anrainerstaaten Pakistan, Turkmenistan, Iran, Usbekistan und Tadschikistan zusammen mit den fünf ständigen Sicherheitsrats-Mitgliedern Großbritannien, Frankreich, China, USA und Russland über Kabuls künftige Herren beraten. Paris gilt als energischer Fürsprecher dieser Runde, nicht zuletzt aus dem einfachen Grund, dass man selbst mit am Tisch säße. Deutschland wäre an keinem dieser ersten beiden Gremien beteiligt.

Die USA haben damit Bauchschmerzen. Schließlich wären drei der fünf von Bush als einsatzbereite Alliierte Gepriesenen, neben Deutschland noch Kanada und Australien, nicht am Festzurren einer Lösung beteiligt. Washington hat viel politisches Kapital in den Rom-Prozess investiert, die Verhandlungen, die den greisen, im italienischen Exil lebenden Ex-König Zahir Schah ins Zentrum stellen. Der Monarch wird als Integrationsfigur für den Übergang gesehen. Der mächtige Afghanistan-Nachbar Iran, der selbst vor 22 Jahren seinen Schah aus dem Land vertrieben hat, wehrt sich indes gegen eine monarchistische Zwischenlösung für Kabul.

Iran unterstützt stattdessen das vierte Gremium, ein als Zypern-Runde bekannt gewordener Verhandlungsreigen. Kritiker wenden ein, Zypern sei nur ein simples Codewort für die Interessen des paschtunischen Kriegsherrn Gulbuddin Hekmatyar, der den römischen Monarchisten Schwerfälligkeit und unislamische Absichten unterstellt. Die Zypern-Gruppe besteht aus mehreren afghanischen Organisationen. Vor gut drei Wochen traf sie sich. Eigentlich wollte man nach Rom fliegen, um sich der dortigen Runde anzuschließen. Doch die Monarchisten wollten davon nichts wissen und ließen das Treffen der Runde nach Informationen der "Washington Post" platzen. Als Antwort bekundete Kriegsherr Hekmatyar, nur er sei im Unterschied zu allen anderen keine Marionette ausländischer Machtinteressen, und im Übrigen könne er sich eine Zusammenarbeit mit den herrschenden Taliban durchaus vorstellen.

Pakistan unterstützt ein fünftes Gremium, das von Exil-Paschtunen getragen wird und sich gerade in Peschawar traf. Die Rom-Gruppe weigerte sich, einen Vertreter nach Peschawar zu entsenden. Kritiker werfen dem von einem paschtunischen Monarchisten organisierten Treffen vor, sich Pakistan zu unterwerfen, das um seinen Einfluss auf das Nachbarland fürchtet. Die Paschtunen als Mehrheitsvolk stellen auch die meisten Taliban-Führer. Wegen ihrer Rolle als zentrale Ethnie überlegt Washington, ob "moderate Taliban" in die Gespräche einbezogen werden können. Aus Rücksicht auf das Paschtunen-freundliche Pakistan hatten die USA bisher ihre Unterstützung für die Nordallianz gezügelt, in der afghanische Usbeken und Tadschiken stark vertreten sind. Die Nordallianz ihrerseits hatte sich eigentlich in der Türkei mit der Rom-Gruppe treffen sollen, doch diese Zusammenkunft scheiterte an den Bedenken des Nordallianz-Feldherrn und Ex-Präsidenten Burhanuddin Rabbani, den die Taliban 1996 gestürzt hatten. Rabbani will sich nicht Zahir Schah unterwerfen.

Die beiden letzten Runden sind die Genfer Arbeitsgruppe, in der die USA, Italien, Iran und Deutschland über das Schicksal der Exil-Afghanen beraten, und schließlich die Afghan Support Group, in der ein gutes Dutzend Staaten mit den Vereinten Nationen über humanitäre Hilfe sprechen. Deutschland hat den Vorsitz dieser seit Jahren bestehenden Gruppe und bringt auch traditionell bei der UN die Afghanistan-Resolutionen ein.

Immer wieder in den Raum geworfen wird die Idee, als formalen Rahmen die acht führenden Industrienationen der G8 mit den Anrainerstaaten zusammenzubringen. Im Kosovo-Krieg wurde Moskau über die G8 eingebunden. Dies ist jetzt nicht nötig - Russland zögert nicht. Gegen die G8 spricht die Dominanz westlicher Industriestaaten und das Fehlen von moslemischen Staaten oder Entwicklungsländern. Für einen Verhandlungsauftrag an eine Runde, in der Berlin berücksichtigt wird, setzte sich Kanzler Schröder in der Nacht von Freitag auf Sonnabend bei seinem kurzen Treffen mit Präsident Putin in Moskau ein. Dabei hat Schröder offenbar die Rückendeckung der USA: Washington neigt einer Lösung zu, die nicht zu sehr zwischen den europäischen Haupt-Verbündeten differenziert. Die Bundesregierung hat mehrere Emissäre gen Washington entsandt, die in eben diesem Sinne um Unterstützung für Berlin werben.

Amerikanische Vorbehalte gegen eine deutsche Beteiligung bei den Gesprächen über die Zukunft Afghanistans gibt es - offiziell - zumindest nicht. Diese deutsche Sorge sei unberechtigt, sagte der amerikanische Botschafter Daniel R. Coats der "Welt am Sonntag". "Der Prozess zur Bildung einer Koalition gegen den islamischen Terrorismus dauert an. Dabei ergeben sich verschiedene Rollen für die Koalitionspartner wie Großbritannien, Frankreich und auch Deutschland." Es sei noch zu früh festzulegen, welche detaillierte Aufgaben den jeweiligen Koalitionspartnern zukämen, sagte Coats weiter. Und das bezog er sowohl auf den politischen wie militärischen Teil des Afghanistan-Konfliktes. Aber Deutschland hat, so ist aus Regierungskreisen zu hören, noch einen zweiten Fürsprecher, wenn es um die Beteiligung an den Verhandlungen über eine Post-Taliban-Regierung geht: die Vereinten Nationen. Deren Generalversammlung steht vor der Tür. Vielleicht wird bereits dann über das Afghanistan-Format entschieden.

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