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Was machen wir heute?: Alte Männer ärgern

Wie ein Neuberlinerdie Stadt erleben kann

Bin krank. Seit Wochen. Die Wohnung besteht aus Taschentüchern, Teebeuteln und Staubmäusen. Wenn das Fieber nachlässt, erhebe ich mich von der durchgeschwitzten Matratze und greife zum Buch auf meinem Nachttisch: „Axolotl Roadkill“. Als ich es endgültig zuklappe, sitzt Helene Hegemann an meinem Bettrand und sieht mich aus kajalumränderten Augen an: „Na? Was denkste?“

„Macht Spaß und nervt. Wie ein Wochenende mit einem sehr schlauen und sehr belasteten Teenager.“

„Literatur oder nicht?“

„Literatur.“

„Echt? Diese inakzeptable Wortzusammenhangsscheiße?“

„Nee, echt, is’ schon viel Interessantes drin. Dieses zum Lebensgefühl gewordene Misstrauen. Dieses gnostische Fremdsein in der Welt, der Gesellschaft, dem Körper.“

„Was laberst du da, Alter?“

Wir schweigen eine Weile und schauen auf ein Stück Rindfleisch unter der Heizung.

„Aber ist es nicht pietätlos, so über seine Eltern zu schreiben?“, fange ich das Gespräch wieder an.

„Bin ich Mifti? Sind das meine Eltern? Das sind Wörter, Alter, komm mal klar.“

„Nee, aber das soll man doch denken. Ich meine, deine Mutter ist ja auch in echt tot.“

„Fieses Spiel, was?“

„Eben. Und abgeschrieben hast du auch.“

„Stilprinzip. Mein – Dein: Das sind noch immer bürgerliche Kategorien“

„Und prüde bist du. Sex ist böse bei dir.“

„Wie warst denn du so drauf in dem Alter? Voll locker mit Sex, oder was?“

„Okay, Themenwechsel. Was machst du heute noch?“

„Ich geh zu dieser beknackten Wasserglaslesung und ärgere diesen alten Sack, wenn er seine Alter-Mann-Junge-Frau-Gähnkapitel vorliest.“

„Ich würde gern mitkommen. Aber ich bin krank.“

„Ich heul gleich.“ Anselm Neft

Lesung mit Martin Walser, 20 Uhr im Studio LCB, Am Sandwerder 5, Zehlendorf

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