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Was machen wir heute?: An der Kasse stehen

Wie eine West-Berlinerin die Stadt erleben kann

Eier von glücklichen Hühnern und Milch aus glücklichen Kühen schmecken bekanntlich besser als das, was Tiere aus der Legebatterie so von sich geben. Und vermitteln einem noch das Gefühl, den Tieren, ja, der Welt was Gutes zu tun. Ergo müssten jene, die Eier von glücklichen Hühnern verkaufen – und mutmaßlich auch selber essen – die glücklichsten Menschen sein.

Weit gefehlt. Wer je im Bioladen stand, weiß, was warten heißt. Traurig bis griesgrämig stehen die Verkäufer oft an der Kasse, nicht mal besonders gesund sehen sie aus, im Schneckentempo ziehen sie die Eier am Scanner vorbei. Das dauert. Mit der Philosophie von Slow Food hat das wenig zu tun. Die Leute rauben mir die Zeit, die ich so gern in den Genuss des Essens investieren würde. Eine Erklärung für dieses Phänomen hat mir noch niemand liefern können.

Wie anders dagegen die Kassierer bei meinem Plus nebenan. Die sind abends um acht noch immer auf so natürliche Weise freundlich, wie morgens um acht und ziehen Milch, Eier und Käse (selbst wenn es sich um Bioware handelt) in einem solch rasanten Affentempo durch den Scanner, dass man sie so schnell nicht mal in den Einkaufswagen werfen, geschweige denn ordentlich in der Tasche verstauen kann. Dabei haben die schnell mal in einer Stunde so viele Kunden abzufertigen wie im Bioladen an einem Tag vorbeigucken. Und es sind nicht immer die höflichsten, auch nicht die nüchternsten Kunden. Wahre Helden der Arbeit sind für mich die Kassierer(innen) bei meinem Plus.

Endlich hat ihnen auch jemand ein Denkmal gesetzt. Okay, nicht ihnen ganz persönlich, aber dem Berufsstand als solchem. Eine junge französische Autorin, die jahrelang an der Supermarktkasse saß, schrieb ihre Erlebnisse auf, das Buch wurde in Frankreich sofort ein Bestseller, jetzt erscheint es auch auf Deutsch. Vielleicht macht es wenigstens die Kunden zu besseren Menschen. Susanne Kippenberger

Mein Plus ist an der Ecke Martin-Luther-/ Winterfeldtstraße. Anna Sams Buch „Die Leiden einer jungen Kassiererin“ erscheint Anfang Februar im Riemann Verlag (12,50 Euro).

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