zum Hauptinhalt

Was machen wir heute?: Baden gehen

Wie eine West-Berlinerin die Stadt erleben kann

Zeit zum Ausmisten. Mussten wir auch gerade, jetzt sind Sie dran. Schmeißen Sie Ihre Ratgeber weg: Sieben schnelle Schritte zum Glück, Wie angle ich mir einen Millionär… Bestimmt nicht so, wie es in den Lebenshilfebüchern steht, die in den letzten Jahren wie eine Sintflut über uns gekommen sind. Nach dem Tod von Reinhard Mohn konnte man zum Beispiel lesen, dass seine Liz ihn als 17-jährige Telefonistin auf der Reise nach Jerusalem kennengelernt hat. Bei einem Kinderspiel! Jetzt ist sie die mächtigste Frau im deutschen Verlagswesen. Und in welchem Ratgeber steht geschrieben, dass der Weg in den Literaturnobelpreisolymp manchmal durch die Hölle führt.

Also: Weg mit dem Mist, jetzt brauchen Sie Platz für die neuen Titel, die diese Woche auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert werden. Und die Ernte scheint in diesem Herbst besonders reich zu sein. Bei dem Schmuddelwetter am Wochenende hab ich’s mir mit Herta Müller gemütlich gemacht. Die Schriftstellerin hat ja jeden Preis der Welt verdient, schon allein für ihre Titel: „Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt“, „Die blassen Herren mit den Mokkatassen“ und mein Liebling: „Heute wär ich mir lieber nicht begegnet“… Während ich auf meinem Sofa saß, hat die Nobelpreisträgerin mir von ihrer unidyllischen Kindheit auf dem Dorf im Banat erzählt, wo sie Kühe gehütet und Hühner geschlachtet und Angst gehabt hat. „Die Nacht ist aus Tinte gemacht“, so heißt die CD, erschienen in einem kleinen Berliner Hörbuchverlag, der sein Medium so ernst nimmt wie die Dichterin die Sprache, der nicht einfach nur Geschriebenes vorlesen läßt, sondern Akustik-Kunst und -Literatur produziert. Fast atemlos und ganz präzise berichtet Müller da in ihrer eigenwilligen Sprache von Verwundungen und Verwunderungen. Von den Pflanzen, mit denen sie sprach, in der Hoffnung, dass diese sie, die sich immer so fremd vorkam, vielleicht akzeptieren. Von der Furcht, dass die Luft aus Tinte sei und sie darin ertrinken könnte. Jetzt badet die Welt in ihrer Tinte. Susanne Kippenberger

„Die Nacht ist aus Tinte gemacht“, Supposé Verlag, 24,80 Euro, www.suppose.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false