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Was machen wir heute?: Bei Japanern entschuldigen

Wenn man aus der Kleinstadt kommt, schämt man sich immer für andere Kleinstädter, die sich in Berlin kleinstädtisch benehmen. Das gehört sich nicht, die ganze Zeit in der Kneipe auffällig an den Nebentisch zu starren, weil da August Diehl oder jemand mit Nasenring sitzt!

Wenn man aus der Kleinstadt kommt, schämt man sich immer für andere Kleinstädter, die sich in Berlin kleinstädtisch benehmen. Das gehört sich nicht, die ganze Zeit in der Kneipe auffällig an den Nebentisch zu starren, weil da August Diehl oder jemand mit Nasenring sitzt! Man steht auch nicht einfach mitten auf dem Radweg, um in den Reiseführer zu schauen und diskutieren, wo denn jetzt genau die In-Disco „Adagio“ am Potsdamer Platz ist! Herrje, man muss sich einfach mal ein bisschen anpassen, das ist doch nicht so schwer! Dachte ich. Bis ich in Tokio war.

Dabei hatte ich mich vorbereitet: Vor der Toilette spezielle Slipper anziehen und danach wieder ausziehen, klar. Sich vor dem Baden waschen, weil das Bad in Japan nur der Erholung dient – kein Problem. Aber dann war alles noch viel schwieriger.

Ich entschuldige mich hiermit bei der Bedienung, bei der ich eine Gabel bestellt habe, weil ich meinte, kein Mensch könne ein halbflüssiges Spiegelei mit Stäbchen essen. Ich entschuldige mich bei dem japanischen Gasthaus, wo ich nach dem alleinigen Bad im riesigen Gemeinschaftsbassin die ganzen zehn Hektoliter Wasser abgelassen habe. Ich entschuldige mich bei den vier Millionen Pendlern in der U-Bahnstation Shinjuku, denen ich täglich konsequent verirrt im Weg herumgestanden habe. Ich entschuldige mich beim guten Geschmack dafür, dass ich ein Foto von der Flughafentoilette gemacht habe, weil es da so viele Knöpfe gab für diverse Wasserspülungen sowie Soundeffekte und das Raumdeodorant. Ich entschuldige mich auch bei dem netten Herrn, den ich ständig nach dem Sinn der Handlung des Kirschblütentanzes der Geisha-Anwärterinnen in Kyoto gefragt habe, obwohl doch jeder weiß, dass es einzelne Kapitel aus dem Epos „Genji Monogatari“ sind.

Und ich entschuldige mich ganz besonders bei allen Japanern, die je Kontakt mit dem Berliner Dienstleistungswesen hatten. Das muss ein echter Kulturschock sein. Sonja Niemann

Mein Lieblingsjapanimbiss in Berlin: Musashi, Kottbusser Damm 102 .

Sonja Niemann

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