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Kultur: Was machen wir heute?: Das Glück anlocken

Obwohl inzwischen ja jeder weiß, dass Berlin eine Stadt ist, die immer zu im Werden aber nie im Sein begriffen ist, muss man doch zugeben, dass sie sich in letzter Zeit ganz schön herausgeputzt hat. Täglich entblößen sich frisch bemalte Hausfassaden von ihren Gerüsten, Luxusläden gibt es an jeder betuchten Ecke, und die Zugezogenen aus München beklagen sich auch immer seltener über den fehlenden Stil der Hauptstädter.

Obwohl inzwischen ja jeder weiß, dass Berlin eine Stadt ist, die immer zu im Werden aber nie im Sein begriffen ist, muss man doch zugeben, dass sie sich in letzter Zeit ganz schön herausgeputzt hat. Täglich entblößen sich frisch bemalte Hausfassaden von ihren Gerüsten, Luxusläden gibt es an jeder betuchten Ecke, und die Zugezogenen aus München beklagen sich auch immer seltener über den fehlenden Stil der Hauptstädter.

Dass der neue Lebensstandard aber dramatische Folgen persönlicher Art haben kann, ist bisher gar nicht beachtet worden. So kämpft einer meiner engsten Freunde gerade um den Fortbestand seiner Beziehung zu einer schönen jungen Dame, die ihn neuerdings für einen Spießer hält.

Alles fing damit an, dass er aus seiner alten Behausung ausgezogen ist, einem Zimmer in einem ehemals besetzten Haus, wo es Küche, Dusche und WC nur zur Gemeinschaftsnutzung gab. Seit einer Woche lebt er nun im inzwischen sanierten Nachbarhaus, in dem nur noch Graffiti im Treppenhaus an das alternative Leben erinnern, das hier bis vor zwei Jahren tobte. Nun hat der junge Mann zum ersten Mal in seinem Leben Heizung, gefliestes Bad und ein Klingelschild aus Messing. Und seine Freundin kann das gar nicht schätzen.

Dabei hatte seine alte Mitbewohnerin extra einen Mistelzweig am roten Schleifenband vorbeigebracht. Der strauchige Halbparasit, der sich sonst bekanntermaßen an Baumkronen festsaugt, soll zur Weihnachtszeit ja Glück fürs kommende Jahr bringen. Dumm nur, dass man sich unter ihm küssen muss, damit das Ganze funktioniert. Irgendwie muss der Mann wohl seine Freundin über die frisch lackierte Schwelle locken, um das nächste Jahr noch mit ihr gemeinsam zu verbringen. Oder er greift zu drastischen Methoden. So geschehen bei einer Freundin, die nichts ahnend über den Weihnachtsmarkt schlenderte. Plötzlich zog sie ein Unbekannter zu einem Mistelzweig und hat sie kurz aber heftig geküsst. Dann verkündete er freudestrahlend, er habe das schon immer tun wollen. Der Glaube an das Glück im Mistelzweig scheint also weit verbreitet. Vielleicht war es aber auch nur eine Wette, die der stürmische Fremde soeben gewonnen hatte. Und irgendjemand warf die Frage auf, ob sich der Glücksfaktor wohl erhöhe, wenn man sich mit Unbekannten knutscht.

Leider fühlte sich in meinem Bekanntenkreis bisher niemand befähigt, darüber Auskunft zu geben. Aber Mistelzweige haben sie inzwischen alle aufgehängt, seit einer von uns im letzten Jahr etwas sehr Schönes geschehen ist.

Damals hatte sie sich zum ersten Mal so einen Strauch gekauft, zugegebenermaßen nur aus Sparsamkeit. Einen Weihnachtsbaum fand sie zu groß für sich allein. So gab es also Mistel statt Tanne und irgendwann einen netten Nachbarn zu Besuch. Der sah das Gewächs und ihr tief in die Augen, und dann war es recht schnell um beide geschehen. Und beide schwören, es habe alles nur am Mistelstrauch gelegen.

Britta Wauer

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