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Kultur: Was machen wir heute?: Den Alltag obduzieren

Cool sein. Tolle Sache.

Von David Ensikat

Cool sein. Tolle Sache. So ganz genau weiß ich nicht, warum es besonders toll ist, wenn einen die Leute nicht für nett oder für gut, sondern für cool halten. Aber es ist doch so, oder?

Gehen wir mal ins Postfuhramt an der Oranienburger Straße. Von außen macht das einen kaiserreichlich-pompösen Eindruck, von innen sieht es wie eine slowakisch-polnische Grenzstation der siebziger Jahre aus. Junge, tendenziell eher coole Leute machen immer mal Kunstausstellungen in diesem Haus. Sie sehen zumeist so aus, als würden sie das Postfuhramt für eine coole location halten.

Die aktuelle Ausstellung ist bestimmt eine der coolsten, die da jemals gezeigt wurden. Wie die schon heißt: "L.A. drive-by". Ein drive-by ist eine gaaanz coole Sache. So nennen die Amerikaner es, wenn Gangster in die Reviere anderer Gangster fahren und aus dem Auto heraus auf die anderen Gangster schießen. Michael Lange scheint das jedenfalls cool gefunden zu haben. Er ist der Mensch, dessen Fotos in der Ausstellung gezeigt werden. Und ich glaube, es ging ihm mit seinen Bildern zu allererst darum, als ein ganz Cooler dazustehen.

Deshalb sind die Bilder schwarzweiß, sehr, sehr grisselig und sehr, sehr groß, über zwei Quadratmeter jedes. Und deshalb sind auch gar keine Menschen drauf. Tiere auch nicht, die wären ja noch uncooler. Außerdem fehlt jeder erkennbare Wille, mehr als die Zufälligkeit großstädtischer Ödnis abzubilden. Dafür sind ein paar Autos zu sehen, ein bisschen Stacheldraht und vor allem viele nackte Mauern. Saucool, das alles.

Es sind Aufnahmen, die Lange aus dem Auto heraus gemacht hat, drive-by-Schnappschüsse sozusagen. Das kann man im kurzen Erklärtext zur Ausstellung lesen. Es macht die Sache auch nicht spannender.

Cool-sein beruht ja zu einem guten Teil auf dem Uncool-sein der anderen. Das funktioniert bei der Ausstellung so: Auf den Bildern erkennt man nicht mehr, als oben beschrieben - okay, ein paar Telefonmasten sind hie und da noch zu sehen - im Erklärtext steht aber, das Ganze "offenbart bald hintergründige Tiefe, besticht mit präziser Obduktion des Road-Movie-Alltags." Schwupps, hat der Begucker ein schlechtes Gewissen, weil er wieder mal gar nix kapiert - wo ist die Tiefe, wo die Obduktion, wessen Alltag? Schlechtes Gewissen ist uncool.

Und Michael Lange ist der Aller-, Allercoolste. Man müsste ihn mal fragen, wie sich das anfühlt. Oder nein, fragen wir ihn nicht. Nachher stellt er sich als guter oder netter Mensch heraus. Das wäre total uncool.

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