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Was machen wir heute?: Den Blues kriegen

Die Sonne tanzt Paso doble mit Berlin, träge dreht sich die Stadt wie ein verwundeter Stier in einer staubigen Arena. Der Matador erlöst ihn nicht in der Mittagshitze, er dämmert im Schatten und nippt Sherry.

Die Sonne tanzt Paso doble mit Berlin, träge dreht sich die Stadt wie ein verwundeter Stier in einer staubigen Arena. Der Matador erlöst ihn nicht in der Mittagshitze, er dämmert im Schatten und nippt Sherry.

Wer kann, hat sich davongemacht. Unter der Menschenschwindsucht ist die Großstadt zum Dorf geschrumpft. Man kann mit geschlossenen Augen über Zebrastreifen schleichen. Oder sich auf ausgestorbenen Spielplätzen besaufen. Das große Ferienmonster hat massenweise Kinder verschlungen und an nahen und fernen Stränden wieder ausgespuckt. Der grelle Tag blendet mit Visionen einer wüsten Zukunftsmetropole, ein unfruchtbares Land, unter brennender Sonne und ohne Jugend.

Auf solche Gedanken kommen Väter, deren Frau und Töchter ausgeflogen sind. Baden im Mittelmeer, und ich brüte im Büro, wo der Ventilator sinnlos in der heißen Luft rührt und auch sonst keiner Lust zu arbeiten verspürt. Zu Hause hat meine siebenjährige Tochter Emma eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Es sei sehr schön im Ferienhaus. Es gebe ein Meerschweinchen, erzählt sie, das sei ausgestopft, und echte Katzen, die aber wild seien und sich nicht streicheln ließen. Sie verabschiedet sich mit der Aufforderung, dass ich sie nicht zu sehr vermissen soll. Nach dem Piep ist es still in der Wohnung, die aufgestaute Hitze ist nicht zu zerschneiden.

Also nichts wie raus, eine Frischluftschneise suchen. Ich gehe die Spree flussaufwärts, die Abendsonne im Rücken am Osthafen entlang, vorbei am halb versunkenen Schiffswrack, das Politpiraten „Mediaspree“ getauft haben. Ich könnte Freunde anrufen, um ein Bier trinken zu gehen. Aber die Fußball-WM ist vorbei, wozu noch in Biergärten sitzen? Ich fühle mich einsam wie ein Freidemokrat, der nur noch in der Gastwirtschaft Freunde findet. Das ist angenehm bei dem Wetter. Melancholie kühlt das Herz. Stephan Wiehler

Beim Köpenicker Blues- und Jazzfestival können Sie am heutigen Sonnabend ab 18.30 Uhr und am Sonntag ab 19.30 Uhr Ihren Sommerblues in Schwingung versetzen.

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