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Was machen wir heute?: Den Mülltonnendieb laufen lassen

Ich lese jetzt manchmal im Internet den „Oneida Dispatch“, die Lokalzeitung von Oneida-County, USA. Ich tue das nicht wegen des Duells Obama-Clinton, sondern weil die Sachen bringen, von denen würde man sonst nie erfahren.

Von Andreas Austilat

Ich lese jetzt manchmal im Internet den „Oneida Dispatch“, die Lokalzeitung von Oneida-County, USA. Ich tue das nicht wegen des Duells Obama-Clinton, sondern weil die Sachen bringen, von denen würde man sonst nie erfahren. Neulich zum Beispiel hatten sie was über meinen Sohn, der dort ein High School-Jahr verbringt.

Ich bin durch Zufall darauf gestoßen, als ich mich durch die Lokalnachrichten geklickt habe. War ein ziemlich ruhiger Tag im County: Sie zeigten das Foto von einem Mülltonnendieb, erwischt auf frischer Tat, und berichteten über zwei 16-Jährige, die mit ihrem Auto den Schulbus so unglücklich gerammt hatten, dass der gegen einen Telefonmast fuhr. Verletzt wurde zum Glück niemand, aber der Sheriff stellte fest, dass der junge Fahrer Marihuana geraucht hatte. Der kam erst mal in Haft. Ja, liebe Kampftrinker hierzulande, sie können ganz schön streng sein da drüben. Und dann las ich den Namen meines Sohnes.

Er stand auf der „Honor Roll“, der Ehrenliste seiner Schule. Es gab nämlich so etwas wie Halbjahreszeugnisse, und die mit den guten Noten wurden in der Zeitung genannt. Eine ziemlich lange Liste, aber trotzdem, toll. Ich rief ihn gleich an.

„Junge“, sagte ich voller Freude, um mich gleich darauf selbst zu unterbrechen: „Du machst doch keinen Unsinn.“ Er verstand nicht ganz, und als ich ihm von den beiden Jungs und dem Schulbus erzählte, schien er mir irgendwie beleidigt. Ob er einen Mülltonnendieb kennt, habe ich dann lieber nicht gefragt. Dumm, aber, wenn er sich öfter melden, ein bisschen mehr erzählen würde, wäre mir das nicht passiert.

Seine kleine Schwester sieht das auch so. So ähnlich wenigstens. Sie war gerade mit ihrer Klasse im Jüdischen Museum, da haben sie einen Wunschbaum. Man kann seine Wünsche auf kleine Papieräpfel schreiben und anhängen. „Dass Frieden bleibt“, schreiben manche, „ich hätte gern ein Haustier“ andere. Die Kleine hat sich gewünscht, dass es ihrem Bruder in Amerika gut gehen möge. Sie versteht mich, das gute Kind. Andreas Austilat

Wunschbaum im Jüdischen Museum, Berlin-Kreuzberg, Lindenstraße 9 - 14.

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