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Was machen wir heute?: Die Angel auswerfen

Klein-Greta kann von allem nicht genug bekommen. Sie sitzt im Schlafanzug auf der Bettkante und lässt die Beine in der Luft baumeln.

Klein-Greta kann von allem nicht genug bekommen. Sie sitzt im Schlafanzug auf der Bettkante und lässt die Beine in der Luft baumeln. „Ich will die Schokolade vom ganzen Karstadt aufessen“, sagt sie und sieht mich zuckersüß an, als wäre ich ein verwunschener Prinz, der ihr das Naschwerk sogleich regalweise herbeizaubern würde. Meine vierjährige Tochter ist maßlos und ohne Mitte, eine Absolutistin.

Das Märchen vom Fischer und seiner Frau, die in einem alten Pott wohnten, ist ihr auf den Leib geschrieben, und seit ich es zum ersten Mal erzählt habe, will sie die Geschichte Abend für Abend hören – zum Verdruss ihrer großen Schwester Emma, die schon auswendig mitspricht, bevor sie vor Langeweile einschläft. Der arme Fischer, dessen Unglück damit beginnt, dass er einen sprechenden Fisch fängt, der als verwunschener Prinz das Herz des Anglers rührt, worauf dieser ihm selbstlos die Freiheit schenkt, berührt auch mein Herz. Dagegen scheint Gretas Anteilnahme eher auf die Frau des Fischers gerichtet, die ihren Mann wieder und wieder nötigt, sich seinen Gnadenakt mit immer neuen Wünschen entlohnen zu lassen.

Mantje, Mantje, Timpe Te/Buttje, Buttje in der See/ Meine Frau, die Ilsebill/will nicht so, wie ich gern will. „Typisch“, sagt meine Frau, die auch zuhört, „die Männer wollen nie, was ihre Frauen wollen.“ Ich sage dazu nichts und lese weiter. So wünscht sich des Fischers Weib, König, Kaiser und Papst zu werden, während die See darüber schwarz wird und tosender Sturm die Schiffe umwirft. Und als der Fischer den letzten Wunsch seiner Frau herausbrüllt, der Fisch möge sie zu Gott machen, und die beiden daraufhin wieder in ihrem Pott sitzen – da meldet sich Emma aus dem Halbschlaf mit der Moral der Geschichte: „Greta, du sollst nicht so gierig sein. Du kannst nicht Gott werden.“ Aber Greta fragt nur ganz cool: „Papa, kannst du es noch einmal lesen?“ Stephan Wiehler

Auch die Berliner Märchentage suchen einen verwunschenen Prinzen – oder Sponsoren und Spender, die den gemeinnützigen Vorlesern aus ihrer momentanen Finanznot helfen. Informationen unter www.maerchenland-ev.de

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