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Was machen wir heute?: Ein Straßenfest feiern

Einer meiner Freunde hat mal in Wedding gewohnt, gleich hinter der Brücke, die einst alles trennte und heute nur noch eine unsichtbare Geldgrenze ist. Als ich meinem Kumpel dort mal einen Besuch abstattete, hat mir manches ganz gut gefallen: Es gab dort mehr Eckkneipen und weniger Menschen mit Milchschaum vorm Mund.

Einer meiner Freunde hat mal in Wedding gewohnt, gleich hinter der Brücke, die einst alles trennte und heute nur noch eine unsichtbare Geldgrenze ist. Als ich meinem Kumpel dort mal einen Besuch abstattete, hat mir manches ganz gut gefallen: Es gab dort mehr Eckkneipen und weniger Menschen mit Milchschaum vorm Mund. Das Leben wirkte nicht gespielt, stattdessen spielten alle auf der Straße: die Kinder Fußball, die Männer Karten, die Frauen Musik. Gut, von Zeit zu Zeit entbrannte Streit, dann wurde es richtig laut. „Woher kommst du?“, fragte da ein Junge ein Mädchen – eine eher plumpe Anmache. Ihre Antwort brüllte sie ihm entgegen: „Das geht Sie einen Scheißdreck an!“

Bei uns in Prenzlauer Berg werden offene Worte meist hinter Balkonbrüstungen versteckt. Gemeinsam auf die Straße trauen sich alle nur, wenn es gilt, einer Horde bekloppter Neonazis den Marschweg abzuschneiden. An einem solchen Aktionstag kann sich der Kiez ganz anders erleben und mal freier feiern. An der Kreuzung, an der ich mit Tausenden saß, las ein Mann die besten Stellen eines argentinischen Liebesromans vor, daneben spielte eine Familie „Mensch, ärgere dich nicht“, während eine Band ein Hip-Hop-Konzert gab, welches ab und zu übertönt wurde von hektischen Suchmeldungen einer schrillen Frauenstimme, die per Lautsprecherwagen einen Paul ausrief: „Paul, komm jetzt endlich zum Lauti!“ Da lachten alle, und so zog ein offener Tag vorüber, der für die Nazis zum Desaster wurde und mir nicht nur deshalb wie eine Befreiung vorkam. Mich rührte besonders, dass meine Nachbarn herabgestiegen waren aus ihrer Milchschaum-Welt, raus ins Leben.

„Woher kommst du?“, fragte da ein Mädchen einen Jungen. „Von da drüben“, sagte er laut, und ich erkannte seine Stimme. Ich drehte mich um und sah, wie er auf seinen Balkon zeigte. Es war mein Kumpel, der früher in Wedding gewohnt hatte. Robert Ide

Das nächste Straßenfest findet am Samstagabend vor dem Café Le Midi statt; Greifenhagener / Ecke Stargarder Straße.

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