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Was machen wir heute?: Einen alten Nachbarn besuchen

Noch immer ist mir das alte Gebäude am Potsdamer Platz das liebste hier. Von außen wie von innen.

Noch immer ist mir das alte Gebäude am Potsdamer Platz das liebste hier. Von außen wie von innen. Hinterm Tresen des Café Möhring weist ein Fenster in den engen, hell verklinkerten Hof des Hauses, das einst als letztes am Potsdamer Platz berühmt wurde. Ich liebe den Blick auf dieses herrlich alte Berlin! Schade nur, dass mich der hintere Ausblick des Hauses Huth so gar nicht fasziniert, sondern beleidigt. Da schaue ich über den mickrigen Fontaneplatz (!) auf jene rötlichen Gebäuderiegel hinterm Erdwall (Tilla-Durieux-Park!), die Park-Kolonnaden (!) heißen, mich aber an Fabriken oder Lagerhäuser aus Legosteinen erinnern. Ich mag gar nicht hinsehen.

Für eine Architekturkritik ist es leider elf Jahre zu spät. Die Häuser mögen innere Werte haben, aber die könnten wenigstens hinter einer gelungenen Fassade versteckt werden. Meinetwegen hinter einer wetterfesten Plane, die immer nur das schöne alte Haus Huth von vorn und hinten zeigt. Am Leipziger Platz müsste die Zeit der schönen Stoffkulissen aber wirklich langsam vorbei sein, sonst wird ganz vergessen, dass hier eigentlich noch richtige Häuser geplant sind. Sind sie das wirklich?

Ich kenne keine andere Stadt, in der so viel vorgegaukelt wird. Ehrliche Leere ist mir lieber. Ich erinnere mich, vor der Wende ein Buch geradezu verschlungen zu haben. Es war die Geschichte des alten Weinhauses Huth, das den Krieg und spätere Abrisswut überstanden hatte und letztlich mit dem einstigen Hotel Esplanade als Vorposten West-Berlins inmitten einer großen Leere mit mutigen Mietern allein vor der Mauer stand. Ich habe es jetzt wieder gern gelesen und fasziniert die alten Fotos betrachtet.

Schön, dass es längst wieder Nachbarn gibt, die Haus Huth in die Mitte nehmen und behüten. Aber Nachbarn kann sich eben auch ein Haus nicht aussuchen. Christian van Lessen

Ein Klassiker fürs Antiquariat: Das letzte Haus am Potsdamer Platz. Eine Berliner Chronik. Von Wolf Thieme, 1988. (Der Autor hat später, aus aktuellem Anlass, eine Neufassung nachgelegt.)

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