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Was machen wir heute?: En vogue sein

Das hatte ich damals von meiner Kreativphase. „Frollein, wollnse sich nicht setzen?

Das hatte ich damals von meiner Kreativphase. „Frollein, wollnse sich nicht setzen?“, fragte der ältere Herr im Bus, seine Gattin guckte äußerst missbilligend. Wie peinlich. Ich war knapp 16 – und hatte genäht. Ein Kleid. Ein wallendes, geblümtes Stoffmonstrum im Hippie-Look, wie meine Freundin und ich es gern trugen. An modische Umstände hatte der Herr wohl nicht gedacht, eher an andere.

Charlotte ist auch in einer Kreativphase. Sie näht. Ein Kleid. Aber die Zeiten ändern sich. Sie braucht nicht so viel Stoff; kleine Zelte sind nicht wirklich ihr Ding. Es soll doch eher figurbetont sein. Ihre erste Kreation sieht stylisch aus – fast wie ein Cocktailkleid. Dazu trägt sie ziemlich hohe Plateauschuhe. Und nicht wie wir einst flache „Danske Loppen“, die an Entenfüße erinnerten.

Nähen liegt zurzeit voll im Trend. Das sieht man in vielen Zeitschriften. Sagt auch die Verkäuferin bei Karstadt am Hermannplatz, die selber nicht verstehen kann, warum die einst riesige Stoffabteilung zugunsten der Betten deutlich zusammengeschrumpft wurde. Noch vor nicht allzu langer Zeit war dort ein reines Samt-, Satin- und Seide-Paradies. Jetzt ist das Angebot eher überschaubar. Dafür gibt es noch eine gute Auswahl an Schnittmustern – auch für Modelle aus der Vogue oder aus Heidi Klums amerikanischer Designer-Castingshow „Project Runway“. Wie seit Nachkriegs- und Wirtschaftswundertagen beliebt sind die Burda-Zeitschriften, in denen man für wenig Geld etliche Muster zum Nachschneidern bekommt.

Letztens habe ich sogar eine Anleitung für Hippie-Kleider entdeckt. Die lassen sich übrigens super recyceln. Die Mutter meiner Freundin hat die geblümten Stoffmassen nach einigen Jahren zu unzähligen Schuhbeuteln verarbeitet, die bis heute in Gebrauch sind. Ach so, den angebotenen Sitzplatz habe ich damals angenommen. Erklärungen zu meiner Kreativphase hätte doch keiner geglaubt. Das wäre erst recht peinlich gewesen. Sigrid Kneist

Stoffe gibt es auf dem Stoffmarkt am Maybachufer in „Kreuzkölln“. Jeden Sonnabend von 11 bis 17 Uhr.

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