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Was machen wir heute?: Hertha verlassen

Wie eine Mutter die Stadt erleben kann: Heike Jahberg stellt fest, dass das der einsamste Ort für sie und ihre Tochter das Berliner Olympiastadion war - beim Spiel gegen den VfL Bochum.

Der einsamste Ort im Leben eines Fußballfans ist das Stadion des Gegners. Jetzt, wo die Saison fast gelaufen ist, muss ich rückblickend sagen: Der einsamste Ort in meinem Leben und im Leben meiner Tochter war das Olympiastadion. Genauer: Das Olympiastadion beim Spiel von Hertha gegen den VfL Bochum. Der Gatte und der Sohn waren für Hertha, ich – aus Verbundenheit zu meiner Geburtsstadt – für den VfL, Linda für Wolfsburg.

Große Kulisse, Bombenstimmung, Fangesänge. Der angereiste Bochum-Fanclub verliert sich im Gästeblock. Man würde die Bochumer glatt übersehen, hinge nicht ein kleines, kümmerliches, weiß-blaues Plakat an der Bande. Ein Häufchen Elend, das seine Mannschaft vor dem Abstieg bewahren will. Muss man solche armen Würstchen beleidigen? 71200 Hertha-Fans sagen: „Ja!“.

Und so wird gehöhnt und gepfiffen, was das Zeug hält. Antrittsapplaus? Keine Spur. Und während Sprechchöre den Namen jedes Hertha-Spielers hinausbrüllen, fordern dieselben Zuschauer bei der Vorstellung der gegnerischen Spieler elf Mal „raus“. Nur Linda und ich klatschen Beifall. Das macht uns sehr einsam im Oberring. Und dann folgen die Katastrophen Schlag auf Schlag. Stuttgart schießt Wolfsburg auf den Mond, und jedes Tor der Schwaben wird im Olympiastadion gefeiert. Auch der VfL kassiert ein Gegentor.

Das ist zu viel für Linda. Schon bei den ersten Toren kann sie nur mühsam die Tränen zurückhalten, doch kurz nach der Halbzeitpause geht nichts mehr. Hertha macht das zwei zu null, in Stuttgart ist Schützenfest, die Hertha-Fans sind im Freudentaumel, und Linda bricht in Tränen aus. „Die sind so gemein“, sagt sie. Wir verlassen das Stadion. Hinter uns die Siegesgesänge der Fans, vor uns der Weg zur U-Bahn. Vorbei an beschäftigungslosen Ordnern und Imbisswagen, in denen schon die Würstchen für die Zeit nach dem Abpfiff gebraten werden. Im Radio läuft Fußball. Ohne uns. Bis zur nächsten Saison.Heike Jahberg

Hertha spielt am Samstag in Karlsruhe, die neue Saison beginnt am 7. August.

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