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Was machen wir heute?: Höflich werden

Das Magazin „Readers Digest“ hat die Höflichkeit der Menschen in 35 Großstädten getestet. Die Berliner kamen auf den vierten Platz!

Eine Bekannte aus der Schulzeit hat neulich in Berlin Pissoirs aus Styropor aufgehängt. Sie ist Künstlerin. „Intervention im öffentlichen Raum“ nennt man so etwas in ihren Kreisen. „Könntest Du nicht etwas über mein Projekt schreiben?“, fragte B.

Ein anderer Bekannter macht mit selbst erfundenen Trommeln Musik. „Ein Schweizer ist auch dabei in unserer Band!“, erzählte er begeistert. „Ist das nicht genau Dein Thema?“

Anstrengend. Besonders, weil die Gegenleistungen aus meinem Bekanntenkreis zu Wünschen übriglassen: J. hat neulich ihr Medizinstudium abgeschlossen. Ich stelle ihr Fragen zu meinen Allergien, dem steifem Hals und verdächtigen Muttermalen: „Was soll ich tun?“, „Könnte es Krebs sein?“ J. will nicht helfen. Dabei soll sie gar nicht über mich schreiben. Mir geht es nur um meine Gesundheit! Ich finde, das ist ein großer Unterschied.

Es ist Zeit für ein Bekenntnis: Selbst wenn ich als Journalist Projekte in den Himmel lobe, gibt es hinterher meist Ärger. Die Protagonisten fühlen sich falsch verstanden oder diskriminiert. Wer nicht von mir gelobt wird, kann von Glück reden!

Wahrscheinlich liegt es an meinen Genen. Das Magazin „Readers Digest“ hat die Höflichkeit der Menschen in 35 Großstädten getestet. Die Berliner kamen auf den vierten Platz! Sieben Ränge vor den vermeintlichen Charmeuren aus Wien, der Heimatstadt meiner Eltern. Wurde nicht auch der Handkuss in Neukölln erfunden?

Neulich bei der Post: Massen warten, der einzige Schalterbeamte arbeitet im Tempo einer bekifften Schnecke. „Sehen sie die riesige Schlange nicht?“, fragt eine Frau. Der Beamte blickt sie lange an. „Ick ßüchte Schlangen“, sagt er dann und lächelt galant.

Ich will jetzt auch höflicher werden. Neulich habe ich mich zum Beispiel über Knut lustig gemacht. Er habe „nicht einmal ein Geweih“. Als ob das eine Rolle spielen würde bei einem Eisbär! Entschuldigung. Till Hein

Weitere Informationen: Thomas Macho (Hrsg.): Höflichkeit, 318 Seiten, 14,90 Euro.

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