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Was machen wir heute?: Kühe finden in der Stadt

Auf der Alm hat der Rentner gelebt, 1600 Meter hoch, in Südtirol gelegen. Allein war er, hat Kühe getrieben, hat den zerrissenen Elektrozaun repariert, den Ofen geheizt, hat drauf geschlafen.

Auf der Alm hat der Rentner gelebt, 1600 Meter hoch, in Südtirol gelegen. Allein war er, hat Kühe getrieben, hat den zerrissenen Elektrozaun repariert, den Ofen geheizt, hat drauf geschlafen. Tag und Nacht hat er den Bach gehört und auch das Klingen der Kuhglocken. Zum Auto brauchte er eine Dreiviertelstunde – zu Fuß natürlich. Und nun sitzt er in Berlin am Schreibtisch, sieht die Post durch, macht die Erledigungen, die auch ein Rentner machen muss. Mittags überlegt er, was er noch alles abarbeiten will, als er merkt, dass er sich selber eingesperrt hat. Gehetzt ist er plötzlich und ganz unglücklich.

Er flieht – in die Gemäldegalerie. Da sitzt er nun – in dem riesigen, optisch und akustisch so außerordentlich stillen und harmonischen Zentralsaal der Galerie. Auch der Brunnen strahlt Ruhe aus, scheint sein Wasserspiegel doch ganz ruhig dazuliegen, sich nicht zu bewegen. Das erste Bild ist von Hans Multscher, ein Altar, Szenen aus dem Leben Christus’ und Marias. Furchtbar geht es da zu: Kleine blasse, halb entblößte und gemeine Kinder bewerfen den armen schon fast gestürzten Christus mit Steinen. Auch die Jünger sind keine Schönheiten. Ob man ihre Hässlichkeit ausdrucksvoll nennen muss?

Dem Rentner wird es besser auf der italienischen Seite, vor der wahrlich anbetungswürdigen Maria Fra Filippo Lippis. Aber seine Kühe hat der Rentner auch noch gefunden, bei den Niederländern des 17. Jahrhunderts, bei Paulus Potter. Die Kühe, braunrot und schwarz, sehen aus wie immer, die eine hat sich geruhsam zum Wiederkäuen niedergelassen und sieht kuhäugig aus dem Bild. Der Stier sieht allerdings gefährlich wild zerrupft aus, den hätte der Rentner auf seiner Alm lieber nicht betreuen wollen.

Zum Schluss geht der Rentner noch einmal in die große Halle, schüttelt dort die Augen aus, lässt die Seele noch eine kleine Weile baumeln. Dann hat er sich wieder. Plümper

Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz 4/6, Tiergarten, Mo geschlossen; Di, Mi, Fr-So 10 - 18 Uhr; Do 10 - 22 Uhr

Plümper

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