zum Hauptinhalt

Was machen wir heute?: Künstler ausbilden

Timmy ist eindeutig in der falschen Familie geboren. Seine wahre Familie bewohnt ein schlossähnliches Palais bei Paris und besitzt Ferienhaus samt Yacht an der Cote d’Azur.

Timmy ist eindeutig in der falschen Familie geboren. Seine wahre Familie bewohnt ein schlossähnliches Palais bei Paris und besitzt Ferienhaus samt Yacht an der Cote d’Azur. Dass er eigentlich in solch gehobene Kreise gehört, hat er beim Frankreich-Austausch seiner Schule entdeckt. Ich erwischte ihn am Telefon, als er gerade im Anwesen der französischen Gastfamilie angekommen war. „Ich habe erst das Erdgeschoss gesehen“, sagte das Kind, „aber ich bin schon sehr beeindruckt!“ So will er später auch leben.

Dummerweise zeigt er wenig Talente, die fürs schnelle Geldverdienen nützlich wären. Mit Zahlen kann er schlecht umgehen, schulischer Ehrgeiz ist ihm fremd, am liebsten zeichnet er: Porträts und Manga-Figuren mit gezackten Haarschöpfen. Reicht das für die Cote d‘Azur? „Mit Zeichnen kann man auch viel Geld verdienen“, sagte ich mir und nahm ihn mit zum Rundgang ins Hauptgebäude der Universität der Künste. Wir wandelten durch offene Ateliers, stoppten hier vor einer Skulptur, da vor einem Bild oder einer Videoinstallation. Aber meine Hoffnung – das Künstlerkind erkennt seine Verwandtschaft, seinen Weg, sein Ziel – erfüllte sich nicht. Timmy offenbarte ein kleinbürgerliches Kunstverständnis: Angewidert drehte er sich weg von einer nackten Skulptur, beim Anblick abstrakter Bilder stellte er die Banausenfrage: „Was wollen die damit sagen?“, und alles in allem war sein Urteil vernichtend: „Ist das hier moderne Kunst? – Das merkt man!“

Am nächsten Tag saß Timmy wieder über seinem Zeichenblock. „Was soll ich zeichnen?“ Zeichne doch einen der Künstler aus der UdK, schlug ich vor. „Nein!“, wehrte er ab. „Die waren mir zu schräg!“ Nach einer halben Stunde präsentierte er stolz einen Mann mit Zylinder, Stock und Frack, übertitelt „Bankchef“. Das Kind weiß eben, wohin es gehört! Und wenn wir keinen Bankchef in der Familie haben, dann malen wir uns eben einen. Dorothee Nolte

Auch für traditionell denkende Kinder interessant: die Ausstellung „Innen Stadt Außen“ von Olafur Eliasson im Gropius-Bau.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false