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Was machen wir heute?: Löcher begucken

Wie ein Neuberliner die Stadt erleben kann - in Ausstellungen.

Ich komme aus der Bauhaus-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau. Mir schwirrt noch der Kopf von den vielen Exponaten und den vielen Besuchern, aber auch von der Frage, ob ich die Manifeste der Bauhaus-Bewegung als naiv belächeln oder als entschlossen bewundern soll, da sehe ich einen jungen Mann mit blond gefärbten Haaren an der Wand des Gebäudes herumbasteln. Er steckt Knetmasse in Löcher und streicht sie sorgfältig glatt, dann wischt er sich die Hände an seinem Jackett ab und betrachtet nachdenklich die verstopften Vertiefungen. Ich kann meine Neugier nicht bezähmen und spreche ihn an.

Ja, ganz recht, sagt der Mann freundlich, er verstopfe die Löcher, aber nur, um sie danach detailgetreu auf Gipsplatten übertragen zu können. Polierte Gipsplatten wohlgemerkt. Ob mir klar sei, dass es sich um Einschusslöcher handelt? Teils ganz schöne Kawenzmänner. Ich wüsste ja: Gerade hier in Berlin hätten die Kriege und Aufstände Spuren hinterlassen. Spuren allerdings, die mehr und mehr verschwänden. Da komme er ins Spiel. Archivarbeit. Archäologie, Kunst, Kunsttheorie – das seien Geflechte, dazwischen oszilliere seine Arbeit „Bullet Holes“. Die Inszenierung einer Berührung, der Abdruck als Erinnerungsspur, auch als Hinterfragung der Ähnlichkeit.

„Entschuldigung“, sage ich. „Ich komme gerade aus der Bauhaus-Ausstellung.“

„Toll, was?“

„Ja, aber auch viel.“

Jetzt lächelt der junge Mann und versteht, dass ich für heute mit Kunsttheorie fertig bin. Er selbst werde davon auch schnell müde. Es gäbe ja ein unendliches Blabla um die Kunst, aber manches sei dann doch interessant, vielleicht sogar nötig. Aber ich könne mir ja selbst ein Bild machen. Da, wo er ausstelle, gäbe es nur ganz wenige Exponate und vermutlich auch nicht ganz so viele Besucher wie im Martin-Gropius-Bau. Anselm Neft

„Die Stadt dazwischen“ – eine Ausstellung von Patricia Sevilla Ciordia, Philipp Hennevogel, Jens Kloppmann. Galerie Kurt im Hirsch, Kastanienallee 12, Fr. 18–20 Uhr, Sa. und So. 16–19 Uhr, www.kurt-im-hirsch.de

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