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Was machen wir heute?: Spaziergängerin sein

Muttersein bedeute Hingabe, hatte man mir vor der Geburt gesagt. Als weitere Synonyme fürs Muttersein wurden ferner genannt: keine Zeit mehr für sich, ewige Müdigkeit.

Muttersein bedeute Hingabe, hatte man mir vor der Geburt gesagt. Als weitere Synonyme fürs Muttersein wurden ferner genannt: keine Zeit mehr für sich, ewige Müdigkeit. Nach zehn Monaten mit Kind glaube ich: Muttersein bedeutet vor allem, dass man Spazierengehen lernt.

Früher, vor der Geburt, verließ ich mein Zuhause, um an einen anderen Ort gelangen, an dem ich jeweils zu tun hatte – das altbewährte Von-Punkt-A-nach-Punkt-B-Prinzip. Heute ziehe ich konzentrische Kreise um Punkt A. Würde inzwischen selbst mit verbundenen Augen die ruhigen Straßen in der Umgebung finden, weiß, wo das Kopfsteinpflaster so sehr rumpelt, dass unsere Tochter in ihrem Buggy binnen Sekunden einschläft, und welcher Bürgersteig so schmal ist, dass man dort unmöglich zwei Kinderwagen nebeneinander vor sich her schieben kann (wissenswert für Spaziergänge mit anderen Eltern).

Spazierengehen ist nicht umsonst die Hauptdisziplin aller jungen Mütter, schließlich tut es Mutter und Kind gleichermaßen wohl. Ich lief los, wenn ich meine schreiende Tochter beruhigen wollte, und ebenso wenn ich der mitunter beklemmenden Verengung meines Lebens entkommen wollte.

Schöner als im Park am Nordbahnhof ist mir das nirgendwo gelungen. Der Name ist an sich viel zu profan für dieses Gelände, drei Meter über der Straße gelegen. Zartgrüne Birken, Wildwuchs überall und zu den Liegewiesen gelangt man nur über Stege. Manchmal geriet ein Ball vom Beachvolleyballfeld nebenan zwischen die Räder des Kinderwagens, oft war ich mit meiner Tochter ganz allein zwischen den verrosteten Gleisen. Im neunzehnten Jahrhundert war hier der Stettiner Bahnhof, nach ’61 verlief an dieser Stelle die Mauer, nach der Wende entstand eine Brache, auf der sich jahrelang der Schutt türmte. Im vergangenen Jahr wurde, aus Ausgleichsmitteln finanziert, der Park eröffnet – genau rechtzeitig zur Geburt meiner Tochter. Verena Friederike Hasel

Park am Nordbahnhof in Berlin-Mitte, Eingang über die Invalidenstraße, im Sommer von 6 Uhr 30 bis 22 Uhr geöffnet

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