zum Hauptinhalt

Was machen wir heute?: Taxi fahren

Fahr mal wieder U-Bahn!“, grölten die süßen Punkerbräute gemeinsam mit einem plötzlich entfesselten, älteren Ehepaar, „Linie 1!

Fahr mal wieder U-Bahn!“, grölten die süßen Punkerbräute gemeinsam mit einem plötzlich entfesselten, älteren Ehepaar, „Linie 1!“ Es waren die späten 80er Jahre am Theater Basel. Meine Lieblingsrolle im Musical „Linie 1“ war Bambi. Ein Typ, der sich total gut auskennt im Großstadtdschungel und immer sagt: „Ey, ein Glück dass ihr mir jetroffen habt.“ So wie Bambi wäre ich gerne gewesen.

Weil ein Kumpel von mir als Beleuchter arbeitete, konnte ich mir zumindest „Linie 1“ ansehen, so oft ich wollte. Das Stück stammt aus Berlin und handelt vom Aufeinanderprallen unterschiedlicher Milieus. Wichtigste Konfliktparteien: junge, sympathische Rebellen und alte Spießbürger. Seit „Linie 1“ weiß ich, dass in Berlin selbst der Nahverkehr ein Erlebnis ist. Auch in Bayern scheint das übrigens bekannt zu sein. Als ich K. erklärte, dass Berlin „viel inspirierender“ sei als ihre Heimatstadt München, meinte sie nur: „Wonn da eina in die U-Bahn eini speit, findst des inspirierend?“

Reines Klischee. Auf meinen Ausflügen mit den BVG habe ich bisher nie erlebt, dass sich jemand übergeben hätte. Gesungen oder gestrippt wird auch selten. Gestern jedoch, Y. und ich waren im Grunewald spazieren, stiegen auf der Rückreise dubiose Jugendliche zu. Ein Pärchen setzte sich uns fast auf den Schoß. Die beiden guckten aus der Wäsche, als hätten sie gerade die gesamten Drogenvorräte Berlins eingeworfen. Ein Bursche stolzierte mit nacktem Oberkörper auf und ab wie ein Gockel und berichtete von den sexuellen Praktiken, die er mit Vorliebe ausübe. Dann begann er uns anzupöbeln. Wir blickten stoisch aus dem Fenster.

Ich fühlte mich wie ein alter Spießer aus „Linie 1“. Grauenvoll. Als wir schließlich umsteigen wollten, kam bereits auf dem Bahnsteig die nächste Horde Jugendlicher auf uns zugelaufen. „Wir nehmen ein Taxi“, sagte Y. „Kurzstrecke für 3,50. Man muss nur fragen.“ Ein Glück, ey, dass ich sie jetroffen habe! Till Hein

„Linie 1“ läuft am Grips-Theater an der Altonaer Straße 22 noch immer. Zum Beispiel am Sonnabend, den 13. 9., um 19.30 Uhr. Tel. 397 47 477, www.gripstheater.de.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false