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Was machen wir heute?: Teenies waschen

Wie ein Neuberlinerdie Stadt erleben kann

Wenn du beim Joggen von Frauen in Burkas überholt wirst, dann bist du in Berlin. Oder jedenfalls in Kreuzberg, so habe ich das gelernt. In Zeiten wie diesen jedoch kann man sich auf solche Gewissheiten nicht mehr verlassen: Neulich hechelte ich durch die Hasenheide, und keine Burka-Trägerin weit und breit. Dafür kam mir eine Nonne entgegen, mit Nordic-Walking-Stöcken. Sie bahnte sich im Slalom durch die Drogendealer ihren Weg. Ob sie aus Bayern zugewandert ist? Kaum war man mal ein paar Wochen in Afrika, schon kennt man sich hier nicht mehr aus!

Zumindest auf der Bergmannstraße scheint sich Kreuzberg treu geblieben zu sein. Mein Lieblingsladen war ein Waschsalon mit integrierter Weinhandlung. Leider ist er pleite gegangen. Die Tradition der Mehrfachstrategien lebt jedoch weiter: Jetzt hat ein Frisörsalon aufgemacht, der sich auch auf Medizin, Physiotherapie und Seelenklempnerei versteht, Motto: „Frisör: Damen, Herren, Kids & Massage“. Besonders reizvoll fand ich das Angebot „Leiharbeit“. Da hatte ich mich allerdings verlesen: Gemeint war „Leibarbeit“. Weitere Attraktionen: „Homöopathie“, „Teenies: waschen, schneiden, stylen“ sowie „systemische Aufstellung“.

In meiner alten Basler Heimat schnitten Frisöre Haare; das Verschreiben dubioser Globuli war die Domäne von Spezialärzten. Und für System und Aufstellung war Helmut Benthaus zuständig, der Trainer des FC Basel. Wahrscheinlich sind gar nicht Fußballer die Zielgruppe für die „systemische Aufstellung“, hat mir ein kundiger Freund erklärt, sondern Menschen, die ihren familiären Hintergrund aufarbeiten wollen. Warum nicht? Und warum nicht beim Frisör?

Die Berliner können einfach alles. Sie sind clever, vielseitig und selbstbewusst. Wir Basler wären viel zu bescheiden, um so einen Psycho-Frisörsalon zu eröffnen. Dann fiel mir an der Tür des neuen Ladens ein kleines Schild auf: „Swiss Formula“ steht darauf. Ich glaub, ich fahr zurück nach Afrika! Till Hein

Nicht nur Trendfrisuren: „il taglio“, Bergmannstr. 31, Tel. 755 64 597; www.iltaglio.de

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