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Was machen wir heute?: Voodoo schauen

Eine Freundin ist frisch aus Kalabrien zurück. Dort hat sie ein paar Wochen Urlaub bei ihrer italienischen Familie gemacht.

Eine Freundin ist frisch aus Kalabrien zurück. Dort hat sie ein paar Wochen Urlaub bei ihrer italienischen Familie gemacht. Mehr noch als das letzte Mal, an das ich mich erinnern kann, fällt ihr die Wiedereingliederung in Berlin schwer. „Alles ist hier so kompliziert“, sagt sie. Ich nicke. „Hier muss ich mich ständig zwischen Hunderten von Weltanschauungen positionieren. Bin ich nun radikalaufklärerische Postfeministin mit Hang zur dekonstruktivistischen Sprachkritik oder gemäßigt konservative Liberalkatholikin, die zwischen fröhlich-gnostischem Weltekel und verkrampft-hedonistischem Nietzsche-Epikuräertum …“

„Aufhören“, rufe ich, „mir schwirrt der Kopf.“ – „Aha. Dann weißt du ja, wie es mir hier geht. In Kalabrien wusste ich wieder, was Gut und Böse und was eine ordentliche Pasta ist. Es kann so einfach sein: Wir haben gekocht, wir haben getanzt, wir haben gesungen. Hier sitze und stehe ich immer nur wie eine Gliederpuppe herum und gucke zu, was andere machen oder gemacht haben.“

Sie hat ja recht, mir geht es kaum anders. Gestern war ich im Kino und habe rumgesessen. Danach war ich auf einer Party, auf der ein Komikduo aufgetreten ist. Am Wochenende will ich ins Theater. Wieder und wieder sitze ich mit Hunderten von Leuten stumm da und nehme zur Kenntnis was andere gefilmt, gemalt oder komponiert haben. Nachher spreche ich schlau mit anderen Rumsitzern darüber, und es endet immer damit, dass mir der Kopf schwirrt.

„Voodoo“, sage ich plötzlich. „Puppen basteln, Tanzen, fröhliche Rituale zelebrieren, Hühnerblut an den Wänden verteilen, sich von einem Geist besitzen lassen, der achtmal so viel saufen kann, wie man selbst.“ Die Freundin sieht mich aus großen Augen an. „Da gibt es jetzt eine tolle Ausstellung“, verwandle ich ihre Verblüffung in Enttäuschung. „Ich glaube“, sagt sie müde, „du hast mir irgendwie nicht zugehört.“ Anselm Neft

„Vodou. Kunst und Kult aus Haiti“, bis zum 24. Oktober in den Museen Dahlem, Lansstraße 8, Di. bis Fr. 10–18 Uhr, Sa. und So. 11–18 Uhr

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