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Kultur: Was machen wir heute?: Wandern lassen

Vor ungefähr zwanzig Jahren hatte ein Mitschüler von mir mal ein Gedicht geschrieben, mit dem er sogar den zweiten Platz im Literaturwettbewerb des Stadtbezirks Mitte gewann. Es ging so: "Im Frühling blühen die Blumen schön, der Krokus und das Glöckchen, die Kinder können wandern gehn, und auf der Wiese tobt das Böckchen.

Vor ungefähr zwanzig Jahren hatte ein Mitschüler von mir mal ein Gedicht geschrieben, mit dem er sogar den zweiten Platz im Literaturwettbewerb des Stadtbezirks Mitte gewann. Es ging so: "Im Frühling blühen die Blumen schön, der Krokus und das Glöckchen, die Kinder können wandern gehn, und auf der Wiese tobt das Böckchen." Wir mussten lachen. Am meisten wegen der Zeile "die Kinder können wandern gehn".

Ich kann mich nicht erinnern, dass aus unserer Klasse jemals einer wirklich gerne wanderte. Im Gegenteil. Jedem graute vor dem nächsten Urlaub im Harz, im Erzgebirge oder in der CSSR. Glücklich waren die mit einem Ferienplatz an der Ostsee. Natur, Gebirge, Felsen und verwinkelte Pfade waren ohne Reiz für uns. Da nützten auch die Beschwörungen der Eltern nichts. Selbst wenn sie uns als Belohnung am Ziel eine Spitzenfassbrause in einer richtig schönen und gemütlichen Baude versprachen. Allein die zwei oder drei Kilometer Fußmarsch bis dahin nahmen uns jeglichen Ansporn. Jeder Schritt bedeutete eine Qual. Wir spielten lieber Tischtennis.

Mittlerweile haben einige meiner Klassenkameraden im Laufe ihres Erwachsenwerdens ihre Einstellung geändert. Wandern soll ja auch wieder Mode sein. "Wandern rund um den Feldberg" oder "Im Vorfrühling um den Grabensee wandern". Die Nachfrage an solchen Urlauben und Ausflügen nimmt angeblich zu. Manche behaupten sogar, man könne sich sehr gut dabei entspannen.

Dabei kann Wandern extrem gefährlich sein. So habe ich vor kurzem in einem Artikel über "Grenzerfahrungen im Urlaub" gelesen, wie jemand bei einer Hochgebirgswanderung von einer Klippe abgerutscht ist und fast zwanzig Meter in die Tiefe fiel. Der Mann hatte überlebt, war aber immer noch voller Todesangst. Muss man das haben?

Ich mag nicht wandern. Ich habe es lieber, wenn das andere für mich übernehmen. Botenberichte sind eh viel spannender. Da erfährt man etwas, ohne selbst hinfahren zu müssen. Zum Beispiel in Arthur Rimbauds "Berichte über das Land der Ogaden". Rimbaud wanderte fast siebzehn Jahre durch Afrika. Er beschreibt Landstriche, Klima und Boden des Kontinents. Er schildert Sitten, Bräuche und Einsamkeit der Schwarzen. Und findet klare Worte gegen die Kolonialpolitik. Nino Sandow hat Rimbauds afrikanische Reise jetzt als Theaterstück inszeniert. Zusammen mit Johannes Bobrowskis "Boehlendorf"-Erzählung und Schuberts/Müllers "Winterreise" reiht sich diese Inszenierung in eine Wandertrilogie ein. Drei Wanderer unterwegs im Dock 11. Musikalisch und theatralisch. Für alle, die selbst nicht gerne wandern. Übrigens, als liebten wir ihn ja damals doch, den Wandertag. Da hatten wir frei und mussten meist gar nicht wandern. Er hieß glücklicherweise nur so.

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