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Kultur: Was wir treiben

Ein Gespräch über Arbeiter und Kleinbürger, pakistanische „Onkel“ – und George W. Bush

Mr. Loach, Sie sind der Altmeister des harten Realismus. Ihre Filme spielen meist im Arbeitermilieu. Warum haben Sie „Just a Kiss“ in der Mittelschicht angesiedelt?

Die Figuren in meinen früheren Filmen wie „Sweet Sixteen“ oder „My Name is Joe“ gehörten zu den Schlusslichtern der Arbeiterschicht. Die asiatische Familie in „Just a Kiss“ ist zwar auf dem aufsteigenden Ast, aber gerade mal im Kleinbürgertum angekommen. Als der Vater nach Schottland kam, hatte er nichts, jetzt besitzt er einen kleinen Laden.

Eine typische Entwicklung?

Sagen wir, sie ist nicht untypisch. In Großbritannien hat es schon viele Einwanderungswellen gegeben – aus Irland, der Karibik, Asien. Meist gliedern sich Einwanderer über einige Generationen in die Gesellschaft ein, aber Anfang der Achtziger hatten wir eine sehr hohe Arbeitslosigkeit. Da suchten die Politiker Sündenböcke, etwa die Pakistaner.

In „Just a Kiss“ geht ein muslimisches Mädchen auf eine katholische Schule.

Das ist weit verbreitet, denn es gibt keine öffentlichen muslimischen Schulen in Großbritannien. Katholizimus und Islam haben einige Übereinstimmungen in ihrem Umgang mit Moral und Sexualität.

Wobei in Ihrem Film die Frauen stark und die Männer schwach wirken.

(lacht) Das hat sich so ergeben. Casim, die männliche Hauptfigur, wird nicht nur von den Eltern, sondern auch von beiden Schwestern in die Mangel genommen. Aber Roisin zeigt ihm, dass die Welt größer ist als seine Familie. Selbst, wenn ihre Beziehung enden würde, könnte er nicht mehr in eine von den Eltern eingefädelte Heirat einwilligen.

Wie haben Pakistaner in Großbritannien auf den Film reagiert?

Die Älteren waren schockiert über die Liebesszenen, aber den Jüngeren hat gerade das gefallen. Sie nennen die ältere Generation „Onkel und Tantchen“. Einer sagte: „Hoffentlich sehen das die Onkel und Tantchen, denn dann wüssten sie, was wir treiben, ohne dass wir es ihnen erzählen müssen.“

Gibt es viele gemischte Paare?

Einige. Wir haben ein Paar getroffen, einen weißen Mann und eine Muslimin. Die Familie wollte nichts mehr von ihr wissen. Ein muslimischer junger Mann musste seine Heimatstadt verlassen, weil er mit einem weißen Mädchen zusammen war. Das Thema ist sehr aktuell.

Wobei „Just a Kiss“ auch den Druck der pakistanischen Community zeigt, wenn jemand sich ihr widersetzt.

Ich kann die Leute verstehen. Sie haben sehr hart gearbeitet und wollen nicht, dass sich ihre Vergangenheit in einer Gesellschaft auflöst, mit deren Ansichten sie oft nicht übereinstimmen.

Wer seine Identität bewahren will, muss nicht unbedingt Berührungsängste haben.

Nein. Aber dann kommt die Religion dazu, die ihr Anderssein verkörpert – auch wenn die Familie nicht besonders religiös ist.

Stichwort Religion: Was bedeutet Bushs Wiederwahl für die Muslime?

Bush, Blair und die rechten Christen in den USA sind viel gefährlicher als radikale Muslime. Sie wollen die Welt bloß für ihre Geschäfte sichern. Und dann hängen sie den Mantel der Religion darüber.

Hat sich auch Blair der Invasion des Irak aus religiösen Gründen angeschlossen?

Das war reine Realpolitik. Er ist zu einem Macbeth geworden, der nur noch an die Macht glaubt.

Und Bush?

Ein Alkoholiker, der zum wiedergeborenen Christen wurde – weiß Gott, was der im Kopf hat. Zur Zeit macht er sich zum Anwerbeoffizier für den radikalen Islam.

Das Gespräch führte Susanna Nieder.

Ken Loach , 68,

ist einer der bekanntesten britischen Filmregisseure. Hauptwerke: „Kes“ (1969), „Riff-Raff“ (1990), „Raining Stones“ (1994) und „Sweet Sixteen“ (2002).

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