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Kultur: Was wollen die wilden Kerle in der Philharmonie?

KLASSIK

Ganz ungefährlich sieht der Mann ja nicht aus: ein Hüne mit viel zu kleinen Füßen für den wuchtigen Körper. Wie Oliver Knussen da auf die Bühne der Philharmonie tappt, im lappigen Anzug, der lange kein Bügeleisen mehr gesehen hat, das Haupt von Vollbart und Lockenmähne umwallt, würde man ihn vom Fleck weg engagieren für seine eigene Oper „Wo die wilden Kerle wohnen“. An diesem Abend aber ist der schottische Komponist leider schon vergeben. Er soll sein 1980 uraufgeführtes Stück nach dem Kinderbuch von Maurice Sendak, höchstselbst dirigieren. Knussens Auftritt ist Teil jenes education programs, das Simon Rattle seinen Berliner Philharmonikern derzeit angedeihen lässt: Neue Werke, neue künstlerische Handschriften sollen das Orchester noch flexibler in Klang und Stilempfinden machen. Auch wenn Knussen als Orchesterleiter nicht gerade die Inkarnation der Eleganz darstellt – als Komponist erringt er einen echten Publikumserfolg: Nach Strawinskys ziemlich flachbrüstiger Ballett-Begleitmusik zu „Le Baiser de la fée“ löst „Where the Wild Things Are“ im Saal echte Begeisterung aus. Das ist zum einen den Gesangssolisten zu verdanken, allen voran der mitreißenden Lisa Saffer in der Hosenrolle des tolldreisten Knaben Max. Andererseits macht die Abenteuerstory aus dem Kinderzimmer es den Leuten leichter, die keineswegs infantile, sondern ziemlich scharfkantige zeitgenössische Partitur zu goutieren. Besonders fallen – bei allem Spaß am Krach und rhythmischem Drive – Knussens Detailbesessenheit auf und sein ausgeprägtes Gespür für Klangfarben. Wer hätte gedacht, dass in dem wilden Kerl so ein kompositorischer Feinmechaniker steckt?

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