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Kultur: Wasser, Farbe, Licht

In Padua kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Die Bilder der Scrovegni-Kapelle wurden gesäubert und restauriert - und plötzlich erkennt man, wie den klagenden Frauen beim Kindermord von Bethlehem feine Tränen aus den Augen laufen, oder wie zärtlich die greise Anna mit dem Barthaar ihres Mannes Joachim spielt.

In Padua kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Die Bilder der Scrovegni-Kapelle wurden gesäubert und restauriert - und plötzlich erkennt man, wie den klagenden Frauen beim Kindermord von Bethlehem feine Tränen aus den Augen laufen, oder wie zärtlich die greise Anna mit dem Barthaar ihres Mannes Joachim spielt. Die Freskenzyklen des toskanischen Malers Giotto di Bondone (1267 - 1337) in Assisi und Florenz, in Padua und Rom markieren den Beginn der Malerei der Neuzeit.

Seine franziskanisch-naive Erzählweise machte den Künstler auch zu einem Lieblingsmaler des Volkes. Wenn es eine Bestsellerliste der meistverkauften Postkarten mit italienischen Kunstmotiven gäbe, gehörte Giotto sicher zur Spitzengruppe. Und doch kann ein frischer Blick auf sein Meisterwerk auch die Fachwelt überraschen.

Seit zehn Monaten restaurieren Fachleute in der Scrovegni-Kapelle die Fresken mit Bilderzählungen aus dem Leben von Maria und Christus, die Giotto Anfang des 14. Jahrhunderts für die Grabkapelle eines stadtbekannten Wucherers malte. Man befreite sie von Schmutz und Salzablagerungen. Die Experten des "Istituto centrale di restauro" aus Rom haben "Farblöcher" vorsichtig angeglichen, damit die Bilder für den Betrachter wieder lesbar werden. Diese Operation mit Wasserfarben bleibt aber für das geschulte Augen erkennbar, denn - so der Leiter der Arbeiten, Giuseppe Basile - "man kann Giotto schließlich nicht nachmalen".

Besonders die empfindlichen azurblauen Flächen sind streckenweise bis aufs Mauerwerk verblasst und zerstört. Die beiden letzten großen Restaurierungen im 19. Jahrhundert und in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts haben den Verfall teilweise sogar beschleunigt. Dennoch bleibt dieses Meisterwerk der spätmittelalterlichen Malerei auf beeindruckende Art gegenwärtig.

Wenn es wahr ist, dass jede Restaurierung nur dann eine gute Restaurierung ist, wenn man anschließend das Werk besser versteht, dann ist das Unternehmen in Padua gelungen. Überraschend wirkt vor allem der Einsatz der Farbe. Wohl auch aus Zeitgründen - die 103 Bildmotive bedecken eine Gesamtfläche von 900 Quadratmetern und wurden vom Künstler in nur zwei Jahren vollendet - wechselte Giotto immer wieder zwischen der Freskotechnik auf feuchtem und der Malerei auf abgetrocknetem Putz. Mit dieser Mischtechnik, die die Umrisse a fresco, Details aber oft a secco schuf, erweist sich Giotto als Meister eines nuancierten Farbenspiels, das den Eindruck plastischer Körperlichkeit weit über die Umrisszeichnungen hinaus erzielt. Voller Lebensnähe ist das Giotto beispielsweise bei der Figur des Johannes gelungen, der den Tod Christi beweint.

Wer noch vor der Wiedereröffnung der Scrovegni-Kapelle auf den Gerüsten der Restauratoren bis unter die Decke klettern durfte, konnte sich auch von anderen überraschenden Details überzeugen, etwa dem geradezu theatralischen Einsatz der goldglänzenden Scheiben im Glorienschein Christi beim Jüngsten Gericht: Sie sind nicht gemalt, sondern als Metallscheiben hinzugefügt worden. Hinzu kommt der deutliche Rückgriff Giottos auf antike Motive und Maltechniken, zu erkennen in den Marmorimitationen. Auch hierin zeigt sich der Toskaner revolutionär gegenüber der noch weitgehend byzantinisch geprägten, mit starren Arrangements operierenden Malschule Ende des 13. und zu Anfang des 14. Jahrhunderts.

Die jetzt abgeschlossenen Arbeiten waren jahrelang vorbereitet worden. Bevor man sich an die Säuberung der Bilder machte, und dafür Spitzenkräfte wie Gianluigi Colalucci (der Michelangelos Sixtinische Kapelle restaurierte) und Pinin Brambilla Barcilon (der Leonardos Mailänder Abendmahl neu erstrahlen ließ) zur Beratung hinzuzog, hatte man die bauliche Struktur der Kapelle konsolidiert und mittels einer atmosphärischen Schleuse - nur kleine Besuchergruppen dürfen in den Raum - die Umweltbelastung verringert.

Die Arbeiten (Gesamtkosten 1,8 Millionen Euro) sind bis auf wenige Stellen im Sockelbereich mit den sieben Todsünden und den sieben Kardinaltugenden abgeschlossen. Am Montag, den 18. März, wird die Kapelle im Beisein von Staatspräsident Ciampi wieder für das Publikum geöffnet. Es ist das Kulturereignis dieses Frühlings in Italien.

Henning Klüver

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