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Kultur: Weckruf

Die Philharmoniker eröffnen die Saison mit Mahler

Durch den meteorologischen Sommer hat auch die Saisonplanung der Berliner Philharmoniker einen Wasserschaden erlitten. Das witterungsbedingt verschobene Waldbühnenkonzert zum Saisonende und der Auftakt der neuen Spielzeit in der Philharmonie folgten einander im Abstand von drei Tagen. Ein Kraftakt mit begrenzter Probenzeit zwischen Populärkultur, Sponsorenpflege und Tourneevorbereitung. So purzelt Schönbergs 1. Kammersymphonie, die ursprünglich Mahlers Siebter zur Seite stehen sollte, aus dem Programm. Dafür bietet das heimische Warmspielen vor den Auftritten des Orchesters bei den Festspielen von Salzburg und Luzern einen Ausblick auf Kanzlerin Merkel Seite an Seite mit Bankchef Ackermann – zu Höchstpreisen von 180 Euro pro Karte.

Dass Mahler ohne das Sicherheitsrisiko einer Pause gespielt wird, wird die Honoratioren und ihre Leibwächter nicht gestört haben. Für Simon Rattle, der sich daran macht, seinen neuen Mahler-Zyklus mit den Philharmonikern zu vollenden, wird es zum Handicap. Denn die Einordnung Mahlers in seine Zeit, der er sich selbst so unrettbar weit entfernt fühlte, führt heraus aus dem Dilemma der biografischen Lesart seines Schaffens. Kaum ein Werk eignet sich dafür besser als die siebte Symphonie. Sie umgeben weder Dramen noch Erklärungswut oder Liedtexte, sie liegt da ganz als herausfordernde Musik. Für Schönberg bedeutete die Siebte den Zugang zu Mahlers symphonischer Welt. „Durchsichtig“ sei ihm das gewaltige Opus vorgekommen, voller „Formfeinheiten“.

Für die Nachwelt sollte der wuchtige Optimismus des Finales zum Problem werden. So etwas kann es bei Mahler, dem ideologisch vereinnahmten Apokalyptiker, gar nicht geben. Simon Rattle tüftelt seit Jahren an dieser Fragestellung, hört jedes Werk Mahlers daraufhin ab. Seine Interpretation der Siebten folgt Schönbergs Begeisterung für eine lichte Pracht, bei höchstem Eigenleben ihrer motivischen Zellen. Er arrangiert ein Hörabenteuer für Fortgeschrittene, einen permanenten Weckruf an die Ohren, dass es noch viel mehr zu hören gibt, als man sich träumen lässt. Die Philharmoniker lassen sich nicht lange bitten. Ironie und Bekenntnis mildert der Chef dabei in einem Maße, das man nicht von ihm kannte. Er will Musiker unter Musikern sein. Und verabschiedet einen, der 44 Jahre lang dabei war: In Wolfgang Kohly, seit 1967 Kontrabassist der Berliner Philharmoniker, lobt Rattle Menschlichkeit und ewige studentische Neugier. Ein Selbstporträt mit gerührtem Ruheständler. Ulrich Amling

Nach Auftritten in Salzburg, Luzern, Köln und Frankfurt finden die nächsten Berliner Konzerte der Philharmoniker am 10. und 11. September unter Leitung von Andris Nelsons statt.

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