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Wedding: Vegan trinken

Es war Ende der achtziger Jahre und ich neu in Berlin, als mir meine damals am Witzlebenplatz lebende Tante weismachen wollte, dass der Charlottenburger Danckelmannstraßen-Kiez schwer im Kommen sei und sicher bald an Kreuzberg rankomme. Das war ein Irrtum, und natürlich ahnte meine Tante nichts von der Wende und ihren Folgen, dass eben Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain das neue oder zweite oder dritte Kreuzberg werden sollten.

Es war Ende der achtziger Jahre und ich neu in Berlin, als mir meine damals am Witzlebenplatz lebende Tante weismachen wollte, dass der Charlottenburger Danckelmannstraßen-Kiez schwer im Kommen sei und sicher bald an Kreuzberg rankomme. Das war ein Irrtum, und natürlich ahnte meine Tante nichts von der Wende und ihren Folgen, dass eben Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain das neue oder zweite oder dritte Kreuzberg werden sollten.

Insofern traut man sich an dieser Stelle kaum zu sagen (weil sich ja nicht nur Tanten, sondern insbesondere Stadtzeitungen bei so was gern schwer und in schöner Regelmäßigkeit irren), dass vermutlich Wedding bald das neue Kreuzkölln wird oder gleich das neue Friedrichshain.

Die Smaragd Bar in der Nähe der Pankstraße gibt es ja schon seit fast drei Jahren, aber auch in dem lange Zeit verrufenen Viertel um die Sprengel- und die Sparrstraße scheint sich einiges zu tun. Dass die TFH nah ist, bemerkte man hier früher gar nicht; nun reihen sich in der Tegelerstraße ein Surf- und Skaterladen, ein Bio-Café und eine Sushi-Bar. Und in der Sprengelstraße kann man plötzlich in einem nach Hamburger Art mit alten Sofas vollgestellten, nur zum Schein improvisiert wirkenden und kinderfreundlichen Café Bier, Designer-Limonaden oder Kaffee trinken und vegane Süßkartoffel-Erdnusssuppe oder Borschtsch essen. Auch gegenüber wird in einer Ladenwohnung gehämmert, eine Theke steht schon wuchtig im Raum und zeigt an, dass hier bald Barbetrieb herrschen wird. Es hat alles noch etwas Urwüchsiges, das Nebeneinander von Alteingesessen (etwa von Bernd’s Bierkneipe) und Szenecafé mit veganem Essen wirkt stimmig, und die Horden von europäischen und amerikanischen Teenagern sind weit.

Nicht viel anders verhält es sich ein paar Blocks weiter, zwischen Pank- und Reinickendorfer Straße in der Uferstraße. Neulich gab hier in den alten BVG-Hallen die Art-Rockband La Stampa ihr einziges Deutschlandkonzert, und vorher und nachher konnte man an der Ecke Martin-Opitz-Straße in einem gerade neu eröffneten, innen bevorzugt weiß gehaltenen Laden (soll Dujardin heißen, steht aber noch nicht dran) Prä- und Post-Konzertbiere trinken. Direkt neben dem Dujardin ist ein Spätkauf, vor dem die Sternburger-Biertrinker sitzen – eine ausgesprochen harmonische Szenerie. Da tut sich also was, im Wedding, und eigentlich müssen sich die Alteingesessenen sehr fürchten. Wenn das so weitergeht, ist es mit dem beschaulichen Leben bald vorbei. Dann regiert nicht mehr die profane Lebenswirklichkeit, sondern die ultrabrutale Gentrifizierungsrealität.

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