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Kultur: Wege der Angst

„Fragment“: Der polnische Künstler Miroslaw Balka nähert sich in der Akademie den Vernichtungslagern

Zum Schluss wird einem schwindlig. Über die Wände huschen verschwommene Bilder in Grau, die den Betrachter denken lassen, er kreisele um sich selbst. Schemen kahler Bäume sind zu erkennen, Dächer alter Hallen, Schnee, vielleicht ein verlassener Güterbahnhof. Doch im letzten Raum von Miroslaw Balkas Ausstellung in der Akademie der Künste am Pariser Platz weiß der Betrachter längst: Es handelt sich um ein Konzentrationslager.

Bis dahin ist er in Gedanken einen weiten Weg gegangen. Er ist Balka gefolgt, der das KZ Majdanek Anfang der neunziger Jahre besuchte, als in Polen die Debatten über den Holocaust begannen. Mit seiner Videokamera tastete sich der Warschauer Künstler an Stätten des Massenmordes in Auschwitz und Treblinka heran und ließ die Szenen ruhen. Das Gesehene wollte verarbeitet sein, ohne sofort Arbeit zu werden. Dieser Prozess lässt sich in der „Fragment“ genannten Ausstellung nachvollziehen. Sie beginnt mit „Bottom“ von 1999/ 2003, einer Bodenprojektion auf Salz, die kopfüber Gasleitungen zeigt, und führt zu „MapL“ von 2010 mit Aufnahmen, die einen Wegeplan der Gedenkstätte Majdanek wie Zeichnungen von Konstruktivisten wirken lassen.

Balka zeigt weder Beweise für die Verbrechen noch Bilder von Opfern, allein der Betrachter will die Fakten des Holocaust rekapitulieren. Er kann jedoch nur kapitulieren. Zu groß ist die Kluft zwischen den bekannten Dokumentarfotos und Balkas nahezu romantischen Bildern, deren subjektive, vorläufige Perspektive die wackelige Kamera betont.

„Fragment“ entstand in Zusammenarbeit mit dem Warschauer Kunstzentrum Zamek Ujazdowski und ist Teil der Veranstaltungsreihe „Blickwechsel“, mit der die Akademie anlässlich der polnischen EU- Ratspräsidentschaft ihre Kontakte nach Polen erweitert. Während sie am Hanseatenweg mit Videoexperimenten von Zbigniew Rybczynski und Gábor Bódy vergleichsweise fröhlich Medienwissenschaft betreibt, hat sie Balka das schwierigere Gebäude am Pariser Platz zugeteilt. Hier entwarf Albert Speer unter Hitlers Augen Germania, hier führt ein Korridor zum Mahnmal für die ermordeten Juden.

Der Wucht des Ortes kommt Miroslaw Balka, 1958 geboren, mit Stille bei. Balka ist vor allem als Bildhauer bekannt, der aus Beton, Eisen, Holz, Glühbirnen und Konservendosen rohe Apparate und Kammern baut, die Gewalt fürchten lassen, aber auch Hoffnung auf Schutz und Überleben wecken. Die Farben und Formen seiner Skulpturen finden sich in den Filmen wieder. Balka hat sie zu einem Parcours geordnet. Je weiter der Besucher in die Säle geht, desto tiefer dringt er in die KZs vor. Diesem Weg hat der Künstler einen bitteren Gruß vorangestellt. Über der Akademietür schwebt ein umgekehrtes B, eine Projektion des Buchstabens aus dem Schriftzug „Arbeit macht frei“, die sich nur im Dunkeln sehen lässt. Dazu erklingen im Foyer die fröhlichen Stimmen junger Besucher aus Deutschland, die am Tor tobten, als Balka filmte. Im Durchgang zum Holocaust-Mahnmal ist schließlich auf einem Bildschirm dann doch ein Mensch zu sehen, ein Aufseher aus Treblinka, den Claude Lanzmann bei seinem Interview heimlich filmte. Endlos wiederholt der die Worte: „S’war primitiv, ja.“

Draußen vor den Sälen die Täter und Nachfahren, drinnen Balkas Versuch zu verstehen: So gesehen ist „Fragment“ weniger Ausstellung als Erinnerungsraum. Fast wünscht man sich die temporäre Gedenkstelle auf Dauer. Doch das wäre nicht im Sinn von Balkas Filmen, die von der Pluralität des Gedenkens handeln. Claudia Wahjudi

Akademie der Künste, Pariser Platz 4, bis 8. Januar, Di-So 11-20 Uhr

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