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Schreckhaft. Orit Nahmias als Dorit in „Denial“.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Kultur: Wegschauen, wegdrücken

Am Tragödienschmerzpünktchen: Yael Ronens Projekt „Denial“ zur Spielzeiteröffnung des Maxim Gorki Theaters.

„Ich hatte eine total glückliche Kindheit“, grinst Maryam Zaree über die Rampe des Maxim Gorki Theaters. Die Mundpartie wirkt freilich verdächtig unlocker. „Die anderen nannten mich immer Klobürste“, fährt die Schauspielerin mit zusehends festfrierendem Gesichtsausdruck fort. „Das war wirklich lustig, weil ich so einen lustigen Haarschnitt hatte, den meine Mutter mir gemacht hat, weil sie so kreativ war und so arm.“

„Denial“ – (Ver-)Leugnung – heißt das Projekt, mit dem das Gorki in die neue Spielzeit startet. Es geht um eine sehr populäre Kulturtechnik: Wir basteln uns, privat wie politisch, unsere eigene Wirklichkeit und blenden das, was uns darin allzu heftig erschüttern könnte, großzügig aus. Regie führt mit Yael Ronen quasi die Sujet-Spezialistin schlechthin. Das Subkutane, Abgedrängte, Ungemütliche spielt seit jeher eine tragende Rolle in den Inszenierungen, die die Gorki-Hausregisseurin gemeinsam mit den Schauspielerin zu brisanten Themen wie etwa dem Nahostkonflikt entwickelt.

Doppelleben mit Schusswaffe

Ausgehend von autobiografischem Material, das dann auf der Bühne mehr oder weniger überformt und verfremdet wird, werfen sich die Mitwirkenden in großen Ronen-Klassikern Mutmaßungen, Vorurteile und andere tiefere Wahrheiten an den Kopf, die sie bis dato nie auszusprechen wagten. Und zwar im Stil einer Screwball-Comedy. Der dabei freigesetzte Humor zeitigt dann manchmal verblüffende tiefere Einsichten, in jedem Fall aber eine wohltuend zeigefingerfreie kathartische Wirkung.

Auch „Denial“ folgt dieser Inszenierungsmethode: In loser Szenenfolge und meist in enger Verwandtschaft zur Stand-up-Comedy erzählt etwa ein junger Mann (Oscar Olivio) von seinem schwulen Coming-out in einer offenbar besonders schillernden Verleugnungsfamilie. Oder eine Frau (Çigdem Teke) lügt gegenüber ihrer Ehepartnerin (Maryam Zaree) aufwendig um den Punkt herum, dass sie sich bei der bevorstehenden Familienfeier in der Türkei nicht zu ihrer homosexuellen Ehe bekennen will. Schließlich erinnert sich eine von Orit Nahmias gespielte Israelin mit glänzenden Augen an ihren Vater: „Er hatte einen geheimen Job, er war ,Bond, James Bond‘“. Auf einem Schulausflug erfuhr sie dann von einer Freundin, dass ihr Nullnullsieben-Supervater seine Dienstwaffe in Wahrheit auf Palästinenser richtete.

Die tollen Schauspieler legen sich zwar wie gewohnt ins Zeug auf Magda Willis Bühne, die mit videotechnischer Hilfe (Hanna Slak) immer wieder eindrucksvolle Spaltungs-, Spiegelungs- und Zersplitterungseffekte produziert. Aber das, was Ronen eigentlich so gut kann, nämlich via Komödie zu tiefliegenden Tragödienschmerzpunkten vorzudringen, gelingt ihr diesmal kaum. Während die Regisseurin dort, wo andere Kollegen aufhören, normalerweise überhaupt erst anfängt, hört man an diesem Abend Geschichten, die einem so oder ähnlich schon über den Weg gelaufen sind: keineswegs schlecht, aber eben auch nicht wirklich berührend. Zumal die Stoßrichtung meist schnell verstanden und die Quintessenz weithin anschlussfähig ist: Leugnung ist schlecht, macht krank und kaputt, im Privaten wie im Politischen.

Im Gedächtnis bleiben vor allem zwei Situationen. Einmal schildern Orit Nahmias und Dimitrij Schaad als Expaar aus dem gehobenen Kreativmilieu ihre gewalttätige Beziehung; jeder aus seiner Perspektive. Sie wirft ihm ziemlich überzeugend vor, die Familie zu misshandeln, er stellt sie nicht minder plausibel als pathologische Lügnerin dar: unmöglich auszumachen, wer hier tatsächlich Täter und wer Opfer ist.

Die mit Abstand interessanteste Szene gehört Schaad allein: Er spielt einen Mann, der als Kind vom Vater offenbar sexuell missbraucht wurde, und begibt sich dabei in jene ungemütlichen Grauzonen, die man von so einem Projekt abendfüllend erwartet hatte, zumindest bei dieser Regisseurin: „Darüber sprechen hilft nicht“, bricht es etwa aus dem Gewaltopfer heraus. „Denn Sprechen transportiert den Horror aus dem Kopf in die Welt. Und wer will in so einer Welt leben?“

Wieder am 14. und 18. 9, 19.30 Uhr

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