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Kultur: Weiche Schale – harter Kern

Der Fußball-Profi galt als sensibel und verletzbar. Seinem Trainer Ernst Happel war er ein Klosterschüler. Jetzt sammelt Felix Magath Titel.

Felix Magath strahlte, als er im Münchner Premiere-Studio den aus London zugeschalteten Aliaksandr Hleb reden hörte. Er grüße „herzlich den besten Trainer in Deutschland“, sagte der mit dem FC Arsenal bis ins Finale der Champions League aufgestiegene Weißrusse, Magaths Schützling in gemeinsamen Jahren beim VfB Stuttgart. „Ich habe ihm“, so Hleb, „sehr viel zu verdanken.“ Der zuvor verkrampft wirkende Bayern-Coach war wie verwandelt. Hlebs Worte waren für ihn endlich eine öffentliche Bestätigung seiner Berufsauffassung, die ihm schon so viel Ärger eingebracht hatte.

Auch die ersten Statements beim neuerlichen Pokalsieg am vorigen Samstag im Berliner Olympiastadion ließen den Druck erahnen, unter den Magath sich setzt. Wie schon das ganze Jahr, erklärte der Trainer nach dem glanzlosen 1:0-Erfolg über Eintracht Frankfurt, habe der FC Bayern wieder „gegen alle Fußballinteressierten angespielt“. Er müsse seiner Mannschaft ein Kompliment machen, dass sie „trotz dieser Bürde“ stets Leistung bringe. Damit meinte er vor allem sich.

Schon heute, spätestens jedoch am kommenden Wochenende wird Magath mit Bayern München voraussichtlich nach dem Pokal auch die Meisterschaft gewinnen. Es wäre das zweite Double hintereinander. Das hat kein anderer Trainer in der deutschen Fußball-Geschichte geschafft. Doch wo Gefühlsmenschen wie Christoph Daum oder Otto Rehhagel gleichsam die Welt umarmen würden, bleibt Magath reserviert. „Ich bin müde, die Saison ist anstrengend“, entgegnete er in Berlin auf die Frage, warum er nicht mehr Freude über den Pokalsieg zeige. Er wird bei der Meisterfeier ausnahmsweise von Pfefferminztee auf alkoholische Getränke umsteigen, aber in Maßen. Kontrollverluste sind in Magaths Lebensmuster nicht vorgesehen.

Der knapp 53-Jährige wird angetrieben vom Drang nach Berechenbarkeit, nach Perfektion. Er hat sein Leben konsequent umgekrempelt, wenn er sich in einer Sackgasse wähnte. Magath verließ die erste Ehefrau samt drei inzwischen erwachsenen Kindern und gründete eine neue Familie. Und als er merkte, dass ihm sein Ruf des Leuteschinders in der Branche schadete, änderte er, zumindest phasenweise, die Strategie.

Wie im Spätsommer 2004, als die Bayern-Stars gegen den Trainingsdrill des neuen Chefs opponierten und im Klub bereits seine Ablösung diskutiert wurde. Magath hatte die vom Vorgänger Ottmar Hitzfeld verwöhnten Profis mit Hanteln und schweren Medizinbällen getrimmt oder vom Tegernseer Tal im Dauerlauf den 1770 Meter hoch gelegenen Wallberg hinaufgescheucht, wo erstaunte Urlauber auf der Sonnenterrasse beim Weißbier saßen. Im Trainingscamp ließ er die ans Ausschlafen gewohnte Truppe um acht Uhr wecken, Beschwerden über zu große Belastungen konterte er lapidar: „Wir arbeiten eher zu wenig.“ Magath lenkte ein, nachdem Vereinsvorstand Karl-Heinz Rummenigge von „Kulturschock“ sprach und Manager Uli Hoeneß eindringlich zu mehr Geduld riet. Fortan redete er ausführlicher mit den Spielern, trainierte weniger hart und kritisierte auch nicht mehr ganz so streng.

Die Härte gegen sich selbst ist gewissermaßen Magaths Lebensthema. Im „Focus“-Fragebogen gibt er in der Rubrik „Was sagt man Ihnen nach?“ an: „Ich sei hart.“ Und auf die Frage „Was mögen Sie an sich gar nicht?“ antwortet Magath: „Dass ich zu weich bin.“ In diesem Konfliktfeld bewegt er sich seit der Kindheit.

Magaths Vater, ein Besatzungssoldat aus Puerto Rico, verließ Deutschland, da war der Sohn noch keine zwei Jahre alt. Gesehen hat ihn Felix erst wieder mit 14 oder 15, ein „beklemmender Besuch“ im heimatlichen Aschaffenburg, wie er sich noch heute erinnert: „Mein Vater war ein Fremder für mich, sprach nur englisch oder spanisch.“ Mit der Zeit kamen die beiden sich näher, seit 1990 besucht Magath den jetzt 78-Jährigen regelmäßig auf dessen Mangoplantage in der Karibik.

Felix Magath wuchs allein mit Mutter Helene auf, eine junge Flüchtlingsfrau aus Ostpreußen, die sich und ihren Jungen als Fabrikarbeiterin durchbrachte. Sie vermittelte ihm die traditionellen preußisch- protestantischen Werte wie Pflichterfüllung, Opferbereitschaft, Disziplin. „Nicht die schlechtesten Grundsätze“, meint Magath. Er habe auch Nestwärme nicht vermisst, „ich hatte im Gegensatz zu meinen Spielkameraden viel Freiheit, konnte tun und lassen, was ich wollte“. Dennoch wünschte er sich schon als Jugendlicher eine Familie mit mindestens drei Kindern. Und hinter der Maske des knallharten Erfolgstrainers werden immer wieder Selbstzweifel sichtbar, deren Ursache weit zurückreichen dürfte. Der Fußball- Profi Magath galt als sensibel, zurückhaltend, verletzbar. Konfrontationen ging er am liebsten aus dem Weg, selbst dann, wenn sie unvermeidbar zu sein schienen.

Wie bei der Weltmeisterschaft 1982 in Spanien. Magath wurde in den WM-Tagen von Gijon zum einsamen Grübler, der bei stundenlangen Strandspaziergängen am Golf von Biskaya zu ergründen versuchte, warum Bundestrainer Jupp Derwall den Münchner Paul Breitner als Spielgestalter vorzog. Es machte ihm Mut, dass Fachmann Hennes Weisweiler die Personalentscheidung im Fernsehen kritisierte: „Felix ist der bessere Regisseur.“ Doch den offenen Machtkampf wagte Magath nicht. Dazu fehlte ihm Breitners Chuzpe. Stattdessen trat er nach der WM aus der Nationalmannschaft zurück.

Dabei war Magath beinahe ein Jahrzehnt lang einer der besten deutschen Fußballspieler. Er bestritt 43 Länderspiele, wurde mit dem Hamburger SV dreimal Meister und gewann zweimal den Europapokal. Außer dem konstanten Nationalelf-Verweigerer Bernd Schuster spielte seinerzeit kein anderer deutscher Profi so geniale Pässe wie der Schachfreund aus Hamburg. Auch deshalb überredete Derwall-Nachfolger Franz Beckenbauer nach der verkorksten Europameisterschaft 1984 Magath zum Comeback. Doch die WM zwei Jahre darauf in Mexiko endete für den Empfindsamen wieder mit einer Enttäuschung: Nach 62 Minuten ersetzte Beckenbauer ihn im Finale gegen Argentinien (2:3) durch Dieter Hoeneß. Schwer gekränkt ging er vom Rasen des Azteken-Stadions.

Der immer loyale Magath, während des Turniers verlässlichste Stütze des in der Führungsrolle überforderten Beckenbauer, empfand den Austausch als Brüskierung. Er hatte ihn auch Stunden später, auf dem Heimflug von Mexiko nach Frankfurt, nicht verkraftet. Unter Tränen verkündete er: Mit Beckenbauer werde er in seinem Leben kein Wort mehr sprechen.

Magaths im Sommer 1986 mit großen Ambitionen gestartete zweite Karriere war kurz und erfolglos. Nicht mal zwei Jahre hielt er sich auf dem von Günter Netzer geräumten Managerstuhl beim HSV, dann musste er gehen. Auch Engagements in Saarbrücken und Uerdingen endeten bald. Hemdsärmlige Kontaktpflege zu Sponsoren oder Spielerberatern passte nicht zum introvertierten Einzelgänger, der nach Dienstschluss am liebsten mit dem Computer Schach spielte. „Aus dem Klosterschüler Felix wird im harten Fußballgeschäft nie etwas“, spottete sein früherer Trainer Ernst Happel.

Dass es so nicht weiterging, erkannte auch Magath. Er beschloss Trainer zu werden, heuerte 1992 beim fünftklassigen FC Bremerhaven 93 an und betreibt seither Vergangenheitsbewältigung durch Projektion: Magath unterstellt seinen Spielern eigene Schwächen und geht resolut dagegen an. Er wolle, beteuert er, den Profis „auch etwas von unserer Gesellschaft vermitteln. Die ist nun mal hart und der Job Fußballspieler ist auch hart, weil es hier ums Geld geht und nicht um Menschlichkeit.“

Dabei folgt Magath seinen Idealbildern Branko Zebec und Happel, den großen HSV-Trainern in den achtziger Jahren. Er nennt sie „meine Lehrmeister“. Beide waren autoritär, hielten Distanz zur Mannschaft, redeten nur das Nötigste. Auf Pressekonferenzen sprach der Wiener Grantler Happel, ein Helmut Qualtinger des Fußballs, selten mehr als ein paar Sätze. Mitunter begnügte er sich nach einem Bundesligamatch mit dem Resümee: „Es war ein Spiel auf her und hin, ich danke.“ Happel wie Zebec beeindruckten die HSV-Profis durch Fachkompetenz und die Konsequenz, mit der sie ihre Überzeugungen durchsetzten.

Noch mehr als der Zocker Happel, der nach jedem Training mit dem Zeugwart Karten spielte, die Hälfte seines Jahresurlaubs in der Nähe eines Casinos am Wörthersee verbrachte und von seinen Leuten Eigeninitiative erwartete, prägte Zebec den Trainer Magath. Für den Kroaten war Fußball Mathematik. Er wollte alles berechnen, alles ausschalten, was den Erfolg gefährden konnte. Ab 22.30 Uhr durften die Spieler Hamburg nicht mehr verlassen. Sie hatten zu Hause zu sein, sogar Kinobesuche waren verboten.

Zebec war gnadenlos. Er habe immer noch vor Augen, erzählt Magath, „wie oft Manni Kaltz dem Horst Hrubesch den Ball an den Kopf schießen musste, bis die beiden ihre Paradenummer Bananenflanke- Kopfball-Tor intus hatten“. Auch kam es vor, dass der Trainer Kieselsteine in die Hand nahm und sagte: „Bei jeder Runde um den Platz lasse ich einen Stein fallen. Ihr lauft so lange, bis meine Hand leer ist.“ War die Hand dann leer, hob er wieder Steine auf und erklärte lakonisch: „Weitermachen.“ Trotzdem arbeiteten die HSV- Profis gern mit Zebec zusammen und hielten auch zu ihm, wenn der alkoholkranke Mann sturzbetrunken über den Trainingsplatz wankte. Zebec starb 1988, keine 60 Jahre alt.

„Zebec lebte in Magath weiter“, beobachtete Rolf Rüssmann, nachdem er ihn im Februar 2001 zum VfB Stuttgart geholt hatte. Doch Magath hatte den Rollenwechsel vom konzilianten Spieler oder Manager zum harten Hund auf der Trainerbank zu radikal vollzogen. In den Boulevardblättern wurde er meist „Quälix“ genannt, die Arbeitsverhältnisse mit dem HSV, Werder Bremen, Eintracht Frankfurt gingen jeweils nach demselben Muster in die Brüche: Er hatte die Truppe in Krisensituationen übernommen, auf Vordermann gebracht und sich mit seinen hohen Ansprüchen schnell verbraucht.

Auch wenn Magath die Anforderungen an Profifußballer mitunter überhöhte – „Man muss täglich Druck ausüben, denn nur der Stärkere überlebt. Das ist wie bei Darwin“ – seine Menschenführung fand immer weniger Beifall. Als Stuttgarts damaliger Manager Rüssmann anrief, war Magath in der Bundesliga kaum mehr vermittelbar. Er konnte sich nicht darauf berufen, dass der Zweck die Mittel heilige. Im Gegensatz zu Zebec hatte er keinen Erfolg.Aber Magath, unterstützt von Rüssmann, lernte dazu. Er wurde offener im Gespräch, formte die Talente Hinkel, Lahm, Kuranyi oder Hleb behutsam zu Spitzenkräften und führte den vom Abstieg bedrohten VfB Stuttgart in die Champions League. „Uns hat gefallen, wie er da gearbeitet hat“, sagt Uli Hoeneß. „Die Mannschaft war topfit, hatte die Bereitschaft, Gas zu geben. Das hatte Hitzfeld nicht mehr geschafft.“ Deshalb holten die Bayern im Sommer 2004 Magath.

Seine ersten Reaktionen ließen ahnen, was dieser Job für den so häufig vorzeitig Entlassenen bedeutete. „Der FC Bayern ist einer der Topvereine in der Welt, und ich muss erst beweisen, dass ich auf dieses Niveau gehöre“, erklärte Magath. Er müsse noch etwas leisten, um „zufrieden und glücklich zu sein“. Die leisen Zweifel, die da durchklangen, haben ihn in seiner jetzt zweijährigen Amtszeit tatsächlich immer wieder eingeholt.

Er wirkt mitunter wie ein Enttäuschter, der trotz seiner Titel das große Ziel verfehlt hat. Magath wollte München Spektakel bieten und nicht den routinierten Fußball der Hitzfeld-Ära. Daraus wurde ebenso wenig wie aus dem erhofften Triumph in der Champions League. Voriges Jahr scheiterten die Bayern im Viertelfinale, diesmal bereits eine Runde früher. Wie sehr die 1:4-Schlappe von Mailand an Magath nagte, erlebte die Fan-Gemeinde live am Fernseher. Der sonst so beherrschte Bayern-Coach beharrte verbissen auf der Schuld des Schiedsrichters wie allenfalls noch Berti Vogts, der nach dem WM-Aus 1998 gegen Kroatien eine abstruse Verschwörungstheorie verbreitet hatte.

Magath spürt die unverhohlene Unzufriedenheit der Bayern-Bosse mit der sportlichen Entwicklung. „Wir verbreiten nicht den Glanz, den wir uns vorstellen“, erklärt etwa Uli Hoeneß. Eine moderate Kritik, die dennoch am mühsam aufpolierten Selbstvertrauen des Trainers kratzt. Er reagierte darauf mit dem Fluchtreflex früherer Jahre: „Ein grundsätzliches Problem in Deutschland ist, dass Leistung nie ganz anerkannt wird“, klagte Magath in der „Bild“-Zeitung. Deshalb träume er vom Ausland.

In München besteht offenkundig Gesprächsbedarf über den weiteren Umgang miteinander. Spieler berichten unter der Hand, der Trainer verhalte sich fast wie in den Krisenmonaten 2004: Er wäre launenhaft, rede wenig, das Verhältnis zur Mannschaft sei angespannt. Magath indes vermisst bei anderen die Leidenschaft, mit der sich Lucio gegen Niederlagen stemmt. „Der will und kann nicht verlieren“, sagt der Coach über seinen brasilianischen Weltmeister. „Aber ich habe inzwischen begriffen, dass diese Einstellung nicht mehr normal ist.“ Die Arbeitsmoral der heutigen Profigeneration ist für Magath ein ständiges Reizthema. Mal lästert er: „Die Spieler stehen lange vor dem Spiegel, schmieren sich Gel in die Haare. Sie wollen selbst gut dastehen und vernachlässigen dabei die Spielidee.“ Oder er kontert Klagen über zu hartes Training mit dem Hinweis, bei Autogrammstunden wären sie auch nicht kaputt.

Magaths lukrativer Vertrag – über zwei Millionen Euro Jahresverdienst, Audi A8-Dienstwagen plus Zweitauto für die Familie – endet am 30. Juni 2007. Ob er tatsächlich so lange oder noch länger bleibt, ist derzeit wohl offen. Die Bayern schätzen die Arbeit des intelligenten Taktikers, allerdings sagt Hoeneß auch: „Er hat eine totale Erfolgsorientierung, fordert die maximale Leistung. Durch seine hohen Maßstäbe steigt der Druck für ihn und seine Umgebung enorm.“ Dies führe womöglich zu Verkrampfungen.

Für seine Art der Motivation findet Magath zumindest familiäre Unterstützung. Mit Ehefrau Nicola, Mutter seiner drei jüngeren Kinder und vormals Marketing-Managerin bei Langnese, diskutiert er häufiger das Thema: Wie bringt man seine Angestellten zur Höchstleistung?

Kurt Röttgen

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