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Kultur: Weil jemand an uns denkt

Melancholischer Blick auf die Prostitution: „Princesas“ von Fernando León de Aranoa

Da gibt es die Verruchte, das Aschenputtel und die Gefallene. Die Verruchte tritt auf als durchtriebene femme fatale: selbstbewusst, abgeklärt, verlockend und für Männer gegebenenfalls tödlich. Ihr gegenüber steht das Aschenputtel: ein bisschen unschuldig und mit dem Herz am rechten Fleck, nur 90 Minuten entfernt vom gütlichen Ausgang. Schließlich die Gefallene: ihr Körper das Schlachtfeld, auf dem die Machtverhältnisse sich austoben. Huren im Film folgen fast immer dieser Typenvorgabe, und die Filme, die dazu gehören, fallen fast immer entsprechend aus: voyeuristisch, märchenhaft oder krass. Fernando León de Aranoas „Princesas“ geht ganz andere Wege. Mit leichter Hand schützt er seine Figuren vor Nutten-Klischees und fügt dem Genre mit der Melancholie einen ungewohnten Tonfall hinzu.

Caye (Candela Peña), Anfang dreißig, Straßenmädchen in Madrid, stammt aus einer mittelständischen Familie. Jeden Sonntag wird bei Mutter Pilar (Marianna Cordero), einer Witwe, die sich selber heimlich Blumen schickt, mit Bruder und Schwägerin gemeinsam das Mahl eingenommen. Die Familie weiß nichts von Cayes Beruf. Nur das fortwährend plärrende Handy und Cayes beharrliche Weigerung, ihre Anrufe am Tisch entgegenzunehmen, beunruhigen die Mutter. Aber sie fragt nicht nach.

In einem Schönheitssalon im Bezirk Entrevías trifft sich Caye mit den Kolleginnen. Erfahrungen und Sorgen werden ausgetauscht, man streitet über Brustvergrößerungen und die Gesetze des Marktes. Und ob Rosa, wie behauptet, tatsächlich einst das spanische Kabinett bediente. Thema Nummer eins aber ist die neue Konkurrenz aus Übersee: illegale Einwanderinnen aus der Dominikanischen Republik verderben mit Dumpingpreisen das Geschäft. Sie waschen sich nicht, heißt es, und ihr Duft mache die Männer verrückt: „Seit sie hier sind, ist es wie im Dschungel.“

Zulema (Micaela Nevárez) ist eine dieser „Dunklen“. Caye findet sie kauernd in ihrer Wohnung, zusammengeschlagen offenbar von einem sadistischen Beamten, der ihr Papiere verspricht, wenn sie ihn gratis bedient. Zulema braucht die Papiere, denn sie will ihren kleinen Sohn Edward zu sich holen. Die Konkurrentinnen freunden sich an: Caye wird Zules Beschützerin. „Heute sind wir keine Huren“, sagt Caye, als sie gemeinsam ausgehen. „Heute sind wir Prinzessinnen.“

Für Regisseur Fernando León de Aranoa sind sie mehr als das. Er behandelt seine Frauen wie Königinnen – behutsam, respektvoll und mit Zuneigung. Die zeitweise dokumentarisch agierende Kamera findet dabei eine feine Balance aus Nähe und Distanz: Vor allem in Augenblicken der Not rückt sie von den Frauen ab, wie um ihnen nicht noch den letzten Rest an Würde zu nehmen. Die Schicksalsschläge, die er seinen Figuren zumutet, gleicht Aranoa mit Momenten der Zweisamkeit und intimer Solidarität aus – und mit Episoden voller Witz und Lebensfreude. So wird aus „Princesas“, der in seinen besten Momenten an die Frauenporträts Almodóvars erinnert, ein Film, der weniger aufwühlt, als dass er berührt, und der bei aller Präzision keinen Anspruch erhebt auf die Vollständigkeit seiner Milieudarstellung – ein kleiner Einblick nur, weil die Frauen, um die es geht, zufällig Prostituierte sind.

„Princesas“ ist kein perfekter Film. Ein wenig zerfahren, verliert er im letzten Drittel die Richtung und will dann zu keinem Ende finden. Manches Wort, das der Autor Aranoa seiner Caye in den Mund legt, gerät arg weise – in ihren kurzen Monologen wird der Film auf eine Weise seiner selbst bewusst, die nicht recht zu seinem halb-dokumentarischen Stil passen will. Störend auch, dass unklar bleibt, wie Caye zu ihrer Profession kam.

Doch die Leistungen der beiden Hauptdarstellerinnen machen diese Petitessen locker wett. Vor allem Candela Peña („Alles über meine Mutter“) verleiht Caye eine Mischung aus Mut und Verletzlichkeit, die ans Herz geht; ihr Gesichtsausdruck wechselt übergangslos von Traurigkeit zu Trotz zu Unsicherheit zu Freude. Manchmal auch liegt alles gleichzeitig darin, und wie dann dieses unförmige Lächeln scheinbar unkontrolliert ihr Gesicht erfasst, das ist einzigartig.

„Wir existieren nur, weil jemand an uns denkt“, sagt Cayes Mutter einmal. Mit dieser zärtlichen Melange aus Semi-Realismus und verhaltener Melancholie gelang Aranoa bereits in seinem Arbeitslosenfilm „Montags in der Sonne“ das Kunststück, den Randständigen mit den Mitteln des Films ein wenig Würde zu geben. Indem er ihre Welt zum Leuchten bringt, verhilft er denen, an die sonst niemand denkt, wenigstens im Kino zu einem Moment selbstwerter Existenz.

Cinema Paris, FT Friedrichshain, Kulturbrauerei, Passage; OmU im fsk und in den Hackeschen Höfen

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