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Weill-Konzert: Die güldene Ananas

Märchenzauber oder Zeitstück, ästhetisches Erbe der "Dreigroschenoper" oder Ausrufezeichen hinter den politischen Ereignissen Anno 1933 - eines ist Kurt Weills "Silbersee" sicher nicht: ein uneingeschränktes vorweihnachtliches Vergnügen für Kinder.

Denn was sollten die lieben Kleinen schon begreifen von jenem kruden Geschehen um eine gestohlene Ananas, welches der expressionistische Dichter und Weill-Vertraute Georg Kaiser hier ins Libretto goss? Wenig, in der Tat. Und auch so mancher Erwachsene erfährt in diesem Familienkonzert des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, warum jenes „Wintermärchen“ bis heute seinen Weg auf die Bühne nicht gefunden hat. Die Dramaturgie: haarsträubend (jedenfalls ohne szenische Unterstützung). Die Musik: enttäuschend, weil doch monochrom in ihren Mitteln, die bekannte Mischung aus Song und Swing, Kabarett und Choral. Nun denn: Trappelnde Schrittlein ’raus, trappelnde Schrittlein wieder ’rein, Quietschen, Greinen, Rascheln – die Philharmonie steht mitten im Leben. Daran könnte man sich sogar gewöhnen.

Dass nicht jedes von den Nazis verfemte oder verhinderte Kunstwerk zwangsläufig meisterlich sein muss, diese Erkenntnis ist nun so wenig neu wie aufregend. Schon die programmatische Beschäftigung mit der „Entarteten Musik“ Ende der Neunzigerjahre hat viel Mittelmäßiges und Abstruses zutage befördert. Der Unterdrückte ist ebenso wenig automatisch der bessere Künstler, wie sich diejenigen, die mit den Unterdrückern mitlaufen, ausschließlich prostituieren. Differenzierung ist gefragt, nach wie vor, eine genaue Kenntnis der Texte und Kontexte.

Insofern gebührt Ingo Metzmachers konzertanter Aufführung des Weill’schen „Silbersees“ gewiss Lob. Ob sich in der Zusammenschau mit der umstrittenen Pfitzner-Kantate zum Tag der Deutschen Einheit allerdings tatsächlich so etwas einstellt wie die Doppelgesichtigkeit der „Deutschen Seele“? Die gleichnamige Themenreihe des DSO mag dies suggerieren, auch die zeitliche Nähe der beiden Stücke legt es wohl nahe, als Protokoll zweier sich abstoßender musikalischer Weltanschauungen. Die moderne sinnliche Hörerfahrung indes lehrt anderes: Das politisch Korrekte, sagt sie, steht der Kunst und ihrer Betrachtung auch gewaltig im Weg – als das von vorneherein Gute, Schöne, Wahre. Für die schwarzgallige Melancholie jedenfalls, die durch die Weill’sche Partitur weht, scheinen an diesem Nachmittag weder Podium noch Saal recht empfänglich zu sein.

Die Ananas also, Sinnbild des Schlaraffenlands. Gülden angepinselt, thront sie ganz vorne an der Rampe. So viel Requisite muss sein. Dahinter wiederum thront der Schauspieler Thomas Thieme und gibt den Landjäger Olim, der den Hungerleider Severin mit einem Schuss verletzt, als dieser besagte Ananas klaut. Ein Lottogewinn versetzt Olim in die Lage, ein besserer Mensch zu sein; er pflegt Severin gesund und kehrt schließlich gemeinsam mit ihm aller Raffgier den Rücken zu: „Wer weiter muss, den trägt der Silbersee.“ Eine bittere Utopie.

Thieme macht sich großartig. Nie will der Wandel vom Gesetzesschergen zum Wohltäter peinlich werden, immer bleibt er sachlich. Prompt wirft sein fistelig-anrührender Gesang die Frage auf, ob hier nicht überhaupt eine Besetzung mit Schauspielern angebracht(er) gewesen wäre, bissiger, böser, schärfer im Gestus. Gewiss, Torsten Kerl (Severin), Burkhard Ulrich, Stephan Rügamer, Mojca Erdmann und Vanessa Barkowski, Simon Pauly und Yorck Felix Speer bilden ein wackeres Sängerensemble. Und Hanna Schwarz’ Frau von Luber mit ihrem rissigen Mezzo hat gar das Zeug zur Lebedame und Diseuse. Schade nur, dass Christiane Oelzes Fennimore sich stimmlich so sehr mühen muss und darstellerisch so unentschieden bleibt. Und mag der Rundfunkchor auch noch so ätherisch schön intonieren: Genau das ist auch Metzmachers Problem. Zwischen pflichtschuldigen Verfremdungseffekten und saftlosen Lyrismen findet er, aller rhythmischen Befeuerung zum Trotz, weder den richtigen Ton noch den rechten Zug, um einem die Dringlichkeit dieser Musik ans Herz zu legen. Weill und Kaiser mögen 1933 sicherlich bereits geschwächt gewesen sein, am 5. März wurde ihr „Silbersee“ in Leipzig vom Spielplan genommen – doch so brav waren sie bestimmt nicht.

Christine Lemke-Matwey

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