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Kultur: Weine nicht

Türk-Pop-Diva Sezen Aksu im Berliner Tempodrom

„Ah Istanbul, komm, lass mich deinen Nacken küssen“, haucht Sezen Aksu ins Mikrofon und wirft mit unglaublich saftigen Lippen theatralische Kussmünder ins Publikum. Platinblond und in ein glitzerndes, tief dekolletiertes Abendkleid gehüllt, zelebriert sie einen Klassiker nach dem anderen aus ihrer 35-jährigen Karriere als Sängerin und Songwriterin.

„Ein Abend der mentalen Rehabilitation“, sagt sie neckisch. Oder ein Wiedersehen mit langjährigen Freunden. Spätestens nach dem dritten Lied über Istanbul singen auch die härtesten Burschen im Tempodrom lauthals mit. Jeder hat mindestens ein Lied von der Königin des Herzschmerzes im eigenen „Soundtrack of life“. Lieder, die vor Liebeskummer triefen und an die Arabesk-Schnulzen der 80er erinnern, wechseln sich mit politisch eindeutigen Chansons ab. Ihre Glanzleistung besteht darin, die verschiedenen Schichten und Kulturen der Türkei zusammenzubringen. Ein Abend in einer Bar an der Ägäis oder eine Kreuzberger Raki-Tafel ohne ihre Lieder? Nicht auszudenken.

In der Türkei sind ihre Konzerte restlos ausverkauft, hier ist das nicht der Fall. Gut, der Auftritt wurde verschoben, und die happigen Ticketpreise von 60 bis 100 Euro sind wohl auch ein Grund dafür. Ein Teil der Einnahmen soll den Hinterbliebenen des Erdbebens in der Osttürkei zugutekommen. Kein Wort von Aksu dazu. Es gab zuletzt einfach zu viele tragische Ereignisse wie die Terroranschläge der PKK. „Das Leben besteht aus mehr Leid als aus Freude“, kommentiert die 57-Jährige knapp und leitet über zu ihrem populärsten Lied „Sen Aglama“ („Weine nicht“). „Aber“, fügt sie während der ersten Takte des poppigen 90er-Jahre-Hits „Hadi Bakalim“ hinzu, „das heißt ja nicht, dass wir uns nicht amüsieren dürfen“. Dazu schwingt sie lasziv die Hüften.

„Bauchtänzerin“ war mit drei Jahren ihr Berufswunsch. Damals hieß sie noch Fatma Sezen Yildirim und ihren Eltern – beide Lehrer – gefiel die Idee gar nicht. Mitte der 70er Jahre hatte sie ihren Durchbruch mit selbst geschriebenen Chansons. Musikalisch ging es bergauf, nur die Filmkarriere verlief holprig. Einzig der Beiname „Minik Serçe“, winziger Spatz, ist ihr als Erinnerung an ihren ersten gleichnamigen Film von 1979 geblieben. 2005 ist sie in Fatih Akins Dokumentation „Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul“ sehen. Sie spielt sich selbst: ein Star mit Millionen von Fans, die Sultanin von Istanbul.

Diese Verehrung erreichte ihren Höhepunkt, nachdem 1991 das Album „Gülümse“ erschienen war. Es verkaufte sich mehr als zwei Millionen Mal und stand über ein Jahr lang auf Platz eins der Charts. Für die Türkei ein unfassbarer Rekord. Jahrelang wurde sie von führenden Musikmagazinen zur beliebtesten Sängerin gekürt. Weltweit hat sie über 40 Millionen Alben verkauft. Trotzdem wirkt Aksu auf der Bühne keineswegs abgehoben. Zwischen den Liedern erzählt sie komische Anekdoten aus ihrer Anfangszeit als Sängerin in einem Istanbuler „Gazino“ und frotzelt im nächsten Moment in einem ägäischen Dialekt, vergleichbar mit dem Schwäbischen im Deutschen.

Fahir Atakoglu, einer der bekanntesten Komponisten der Türkei, begleitet sie am Klavier. Weitere Instrumente wie Cello und Kontrabass und auch die Langhalslaute Ud umrahmen ihre raue, aber immer noch kraftvolle Stimme. Ein Abend wie im Harem, mit Sezen Aksu als Sultanin des Pop. Ebru Tasdemir

Ebru Tasdemir

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